landleben

In schwierigen Lebensumständen ist es manches Mal befreiend einen Blick auf andere Lebenssituationen zu werfen. In der Fernsehsendung Landleben kann ich miterleben, wie in kleinen bis mittelgroßen bäuerlichen Betrieben Zufriedenheit und Harmonie herrschen. Wie mit einer Nische, Bienen- oder Fischzucht, mit der Haltung von Schafen oder der Aufzucht von Noriker Pferden ein wenig Wohlstand erworben wird. Mit reichlichen Ideen werden die landwirtschaftlichen Produkte verarbeitet und am Hof oder am Wochenmarkt verkauft. Ansprechend durch individuelle Verpackung und charmante Präsentation, die ganze Familie ist in die Arbeit eingebunden. Geborgenheit und Zufriedenheit strahlt der bergbäuerliche Kosmos aus und spiegelt sich im Verhalten der Kleinkinder wider. Diese werden mit kleinen Handgriffen betraut und wachsen ohne Scheu vor Schafen oder Kühen, in einer ursprünglichen Natur auf. Die Großeltern nehmen am gemeinsamen Mittagsessen teil. Sie sind stolz auf die neuen Ideen der Jungen, mit denen der Bauernhof eine Zukunft haben wird. Im Lebensalltag sind die bäuerlichen Familien mit der Landschaft, dem Rhythmus der Jahreszeiten, dem Wetter, dem Wachsen und dem Reifen unmittelbar verbunden.

Wieviel haben die Pflanzen und die Bäume uns hochgezüchteten Bewohnern der Erde, voraus?  Wir erkennen uns selbst, angenommen wir vertrauen der eigenen Erkenntnis. Bei einer Wanderung im Frühsommer durch den Mischwald ist mir in das Auge gestochen, dass die Bäume an ihren kahlen Zweigen feine, hellgrüne Blätter austreiben. Im Volksmund heißt es, im Frühjahr sprießen wieder die Bäume. Diesen Wunsch kann ich mich anschließen, dass im Frühjahr meine Haare wieder zu sprießen beginnen. So müsste ich auch akzeptieren, dass mir im Herbst die Haare ausfallen.

klosterzelle

Wer aus Interesse an Kunstaustellungen, an neuem Wissen oder nach einer Möglichkeit sucht im Urlaub etwas für das Gehirn zu tun, der findet eine Fülle von Angeboten. Diese weichen von den pauschalen Urlaubsangeboten, Radfahren, Wandern, Sonne und Meer ab. Schnell fündig wird man bei einem Blick in die Programmhefte der Bildungshäuser oder von Kulturinitiativen. Die Palette reicht von Malkursen, Töpferkursen, Sprachkursen bis zu Singakademien. Mein Interesse in den Sommermonaten gilt Seminaren wo es um Bücher und Literatur oder um Symposien zu grenzübergreifenden Themen wie Wahrheit oder Vertrauen geht.

Öfters besucht wurden von mir die Vorauer Literaturtage im Zisterzienser Kloster Vorau. Für eine Woche haben wir uns mit dem Inhalt und dem Schreibstil von drei, im Vorfeld zu lesende Bücher, beschäftigt. In den Klöstern werden zumeist einfache Übernachtungsmöglichkeiten geboten. Im Stift Vorau stehen während der Sommermonate den Seminarteilnehmern die Schülerzimmer der Landwirtschaftlichen Berufsschule zur Verfügung. Die Ausstattung ist spartanisch, aber auf der Order ganz oben steht der Austausch unter Bücherfreunden. Reicht die Zahl der verfügbaren Zimmer nicht für alle Teilnehmer so gibt es eine Notlösung. Männliche Seminarteilnehmer können eine Klosterzelle in der Klausur erhalten. An eines dieses Appartement kann ich mich erinnern. Ich habe es über eine Flügeltüre betreten, es gab ein großes Zimmer mit einem mächtigen Schreibtisch und einigen herrschaftlichen Stühlen. Dazu einen Sekretär und einen Schrank für Bücher. Aus den Fenstern hatte ich einen prächtigen Blick auf die umliegende Hügellandschaft. Bei jedem Schritt knarrte der Holzboden. Eine Tür führte vom Arbeits- und Wohnzimmer in das Schlafzimmer. Darin ein einfaches Bett, daneben ein Betstuhl und an der Wand ein übermächtiges Kreuz. Im Bad befand sich ein übergroßer Boiler und eine Badewanne. Über dem Waschbecken war ein Allibert Toilettenschrank mit Spiegel und eingebauter Beleuchtung montiert. Der Schrank hatte drei Türen und die Standardfarbe grün.

wolldecken

Die Überschwemmungen vom Herbst rufen in Kärnten bei älteren Semester die Erinnerungen an die Hochwasser in den Jahren 1965 und 1966 wach. Einige können von dramatischen Erlebnissen erzählen. Ein pensionierter Eisenbahner erzählte während einer Zugfahrt nach Wien, wie er in den 1960er Jahren nach Arbeitsschluss von Lienz mit dem Zug nach Oberdrauburg, seinem Wohnort fährt. Der Zug hält plötzlich auf freier Strecke, die Eisenbahnlinie war durch Überflutungen unterbrochen. Die letzten Kilometer ist er zu Fuß gegangen. In Oberdrauburg drohte die Brücke über die Drau einzustürzen. Bäume, Sträucher, Möbel, vieles hatte sich hinter den Brückenpfeilern verkeilt. Auf der anderen Seite vom Fluss befindet sich sein gerade erst fertiggestelltes Haus. Seit einem halben Jahr wohnt er darin mit seiner Frau, wie kommt sie mit der Situation zu recht? Die Polizei wollte ihn daran hindern die einsturzgefährdete Brücke zu überqueren, er setzte sich über alle Bedenken hinweg. Er war seit einem Jahr verheiratet und seine Frau erwartete ein Kind. Der Gailbergbach, welcher in der Nähe vorbeifließt, ist über sein Bachbett getreten und hat Garten und Haus verwüstet. Der Keller und das Erdgeschoss sind voll von Schotter und Geröll. Die Frau ist in den ersten Stock geflüchtet, erleidet ein paar Tage später durch den Schock eine Fehlgeburt. Beim Aufräumen halfen ihnen Verwandte und von den Überschwemmungen nichtbetroffene Nachbarn.

Für ihn gab es keine öffentlichen Entschädigungen finanzieller Art, auch nicht von der Gebäudeversicherung. In den 60er Jahren mussten die meisten Hochwasseropfer mit ihren Schäden alleine zu Rande kommen. An einem regnerischen Novembertag im selben Jahr befand sich die Kommission zur Wildbachverbauung in einem Gasthof in Oberdrauburg. Sie berät darüber, ob und in welchem Ausmaß der Gailbergbach reguliert werden soll. An diesem Nachmittag trat der Bach abermals über die Ufer. Damit gab es über die Notwendigkeit den Bach zu verbauen keine Diskussion mehr. Im Dezember haben sie von einer Wohlfahrtsorganisation aus Wien zwei Wolldecken erhalten.      

lebenswege

In meiner Erinnerung sitze ich, am 6. Mai 1976 um 20.59 Uhr, in der Küche am Tisch und plötzlich geht eine Welle durch das Haus.  Der Stuhl auf dem ich sitze wird hochgehoben, dass ich einem Moment befürchte mit dem Kopf am Plafond anzustoßen. Von draußen höre ich wie Dachziegel auf der Straße aufschlagen. Der nächste Gedanke war raus aus dem Haus und weit weg vom Gebäude. Beim Nachbarhaus lag in der Einfahrt der halbe Schornstein auf dem Asphalt. In den folgenden Nächten war kein Durchschlafen möglich, immer wieder wurde ich von kurzen Erdstößen geweckt. Auf dem Nacht Kastl lag eine Banktasche griffbereit mit den Geschäfts- und Autoschlüsseln, Dokumenten und Ausweispapiere. Die Wohnungstüre habe ich in den ersten Wochen nach dem großen Erdstoß nicht abgeschlossen. Diese Erinnerung hat sich unverhofft eingestellt, als wir, zwei fremde Menschen in der Klinikum Cafeteria auf unsere Partnerinnen gewartet haben.

Der Funke der Erinnerung ist auf eine dritte Person übergesprungen.  Eine Frau mischte sich in unser Gespräch ein und erzählte von sich. Sie kann sich gut an den Herbst des Jahres 1976 erinnern, an den siezehnten September. Am Vormittag saß sie in der Handelsakademie in Spittal Drau, um die Aufnahmeprüfung zu schreiben, als plötzlich die Erde bebte. Schreiend sind sie aus der Schule gestürmt.  An diesem Tag ereignete sich das stärkste Nachbeben in Friaul und in Kärnten. Die Angstschreie der Kinder von der gegenüberliegenden Volksschule in Arnoldstein klingen mir noch immer im Ohr. In den ersten Schulwochen standen die Eingangstür von der Schule und die Türen von allen Klassenzimmern offen, es gab immer wieder Nachbeben.

Meine Erinnerungen an Spittal / Drau beginnen etwa ein Jahrzehnt früher. In den sechziger Jahren absolvierte ich in der Papier- und Buchhandlung Petz am Bahnhof meine Ausbildung zum Buchhändler. Als Hak Schülerin hat sie dort ihre Schulwaren eingekauft.  Die Jugendlichen welche mit dem Zug oder mit dem Postbus am Spittaler Bahnhof ankamen, hatten die Möglichkeit vor Schulbeginn in der Papierhandlung einzukaufen. Manche Lebenswege begegnen sich unverhofft, um danach wieder in verschiedene Richtungen auseinanderzugehen.

herbststrauß

Die Verantwortung des Kunden beim Einkaufen wird immer weiter ausgedehnt, dies erlebte ich nach dem verlängerten Wochenende. Beim Lebensmitteleinkauf nahm ich für einen Krankenhausbesuch einen Blumenstrauß mit. Der Blumenstrauß trug den Beinamen „Herbstgruß“. Nach Auskunft einer Floristin ist es in den Krankenhäusern nicht gerne gesehen, wenn blühende Blumenstöckel zu den Patienten gebracht werden. Die Blumenerde könnte schädliche Mikroorganismen enthalten und diese sich im Krankenzimmer verbreiten. Gewünscht sind Blumensträuße, denn Blumenvasen stehen in ausreichender Zahl zur Verfügung. Besonders hilfsbereite Schwestern nehmen den Besuchern die Blumen ab und besorgen eine Vase. Das Depot für die Vasen befindet sich meistens in der sogenannten Teeküche. Neu sind bei den Lebensmittelhändlern die Aufkleber: „Lebensmittel sind wertvoll, Verbrauchsdatum abgelaufen, Ware in Ordnung. Verwenden statt verschwenden“. Zumeist ist der Preis für diese Artikel um 50 % Prozent reduziert. Zwei Tage nach dem verlängerten Wochenende trugen auch die Herbststräuße diesen Aufkleber. Ich hatte keine andere Möglichkeit und habe einen „Herbstgruß“ mitgenommen. Versehen mit dem Aufkleber, verwenden statt verschwenden. Vor der Kassa befand sich ein Aufsteller mit verschiedenen Herbst-Pralinen, deren Aktualität in der Vergangenheit lag. Hier war ebenso ein Hinweis angebracht, verwenden statt verschwenden.  Alle Herbst Pralinen um 50 % Prozent reduziert. Als Naschkatze war es mir einerlei ob die Pralinen eine Hülle mit einem Herzen tragen oder eine neutrale Verpackung.  

Vom Einkaufszentrum führte mein Weg direkt in das Krankenhaus und die Verpackung vom Blumenstrauß landete im Müllkübel, damit auch der Picker mit den minus 50 % Prozent. Abends habe ich mir den Kassastreifen vom Einkauf angesehen und dabei festgestellt, dass bei den Herbst-Pralinen der 50 % prozentige Nachlass ausgewiesen und abgezogen wurde. Beim Blumenstrauß, obwohl am Einwickelpapier ersichtlich und beim Regal gekennzeichnet wurde der Preisnachlass nicht abgezogen.

Einen schmalen Blick in die digitale Zukunft, bei die Bestellabwicklung, machte ich im letzten Jahr meiner Ausbildung. Die Buchhandlung Petz wurde eine Betreuungsstelle der Buchgemeinde Alpenland. Jedes gelieferte Buch war mit einer Lochkarte versehen. Dies war ein Kartonstreifen von etwa 18 mal 9 cm in dem, wie schon der Name andeutet, eine Vielzahl von Vierecken, Quadraten und Kreise gestanzt waren. Wurde ein Buch verkauft, wurde die Lochkarte entnommen und wöchentlich an die Buchgemeinschaft weitergeleitet. Aus den übersandten Lochkarten wurde von der Zentrale der Verkaufserlös und die Provision ermittelt. Die Nachlieferung der verkauften Bücher erfolgte automatisch. Der Umgang mit den Lochkarten war ein schmaler Blick in die Zukunft der modernen Warenwirtschaft.