Die letzte Nacht. Es besteht keine Möglichkeit mehr noch etwas zu unternehmen. Hätte man noch ein letztes Jahr, dann würde man sich viel vornehmen. Man würde in anderen Spitälern nachfragen, ob es eine Alternative in der Behandlung gibt, ob sich das Ende hinauszögern lässt. Man würde einen Nachfolger für den Betrieb suchen, eine Aufgabe, welche man begonnen hat fertig stellen. Diesen und jenen anrufen, darauf drängen, dass man dieses und jenes gemeinsam unternimmt. Man will ein bisschen Spaß haben, sich untertags unterhalten. In der Nacht, wenn man zur Ruhe kommt würden die Zweifel kommen, in der Zeit bevor man einschläft. Man würde etwas Neues planen, rechnen, wie viel Zeit braucht dies und rechnet sich das. An der Sache zu zweifeln beginnen und sich etwas anderes ausdenken, zwischen den Dingen hinundherschwanken. Etwas Neues beginnen, es wieder abbrechen, wieder etwas anderes beginnen und wieder abbrechen, unzufrieden und nervös werden. Sich vor einem plötzlichem Tod fürchten, der früher kommt als von den Medizinern vorhergesagt. Muss man sterben, dann zum angekündigten Termin und nicht zu einem Unkontrollierbaren. Jeden Kontakt mit Menschen, die eine ansteckende Krankheit haben, vermeiden. Nicht in die Nähe von verschnupften Menschen kommen, dies könnte eine Grippe auslösen, der Beginn einer Lungenentzündung sein.
Man wird immer einsamer, sondert sich von den Leuten ab. Sich das Essen durch ein Guckloch reichen lassen, einen Vorkoster einsetzten. So wird ein Vorhaben nach dem Anderem von den Gesundheitsvorkehrungen erstickt. Die Pläne enden dadurch, dass sie vom nächsten Plan erstickt werden. Welches Glück sagt man zu Beginn des Jahres, ein ganzes Jahr Zeit, plötzlich würde man die Zeit hassen. Man sehnt sich nach der Nacht, wo man schlafen kann. Der letzten Nacht, wo man beim Aufwachen weis, ob es etwas Neues gibt oder nichts weis, weil es nichts gibt.
Der Friede.
Hallo Schlagloch,
mein Bruder hatte ein halbes Jahr – unendlich viel und gleichzeitig unendlich wenig. Es war tatsächlich vieles möglich, dennoch raste die Zeit gewaltig.
Angesichts solchen Wissens frage ich mich, wieso ich nicht “wertvoller” mit meinen Tagen umgehe. Ich könnte unendlich mehr daraus machen, tue es aber nicht. Wird dann die Zeit unerwartet knapp, dann will man die Zeit verdichten. Aber auch da hat man Tage ohne viel Inhalt.
Verdammt zum Inhaltslosen – das tut weh.
Hallo Gerhard!
Unser Leben braucht eine Abwechslung von Aktivsein und Ausspannen. Rainer Werner Faßbinder hat einmal gesagt: “Schlafen kann ich, wenn ich tot bin.” Nicht jeder ist zu dieser Lebenseinstellung fähig. Obiger Text ist auch eine Annäherung an den verstorbenen Blognachbar Helmut.
Gruss schlagloch
Hallo Schlagloch,
danke für den Hintergrund.
Aber Dein Text ist zeitlos, immer gültig. Ich wollte, mehr würden darauf eingehen…
Zu “was unser Leben braucht”: Man könnte auch in der Entspannung “wesentlich” sein, tut es aber oft nicht. So verrinnt Zeit…
Gruß
Gerhard