Im schöpferischen Bereich ist es eine Gratwanderung was von den Menschen, den Betrachtern, den Lesern noch akzeptiert wird. Wie weit geht das Verstehen und Verständnis für ein Bild, für eine Installation, für einen Text. Bei einer Installation erschließt sich für den Betrachter oft erst auf den zweiten Blick der Inhalt, die Aussage der Installation. Es gibt Bezüge zur wirtschaftlichen, politischen und sozialen Situation im Herkunftsland des Künstlers. Schwierig wird das Verständnis, wenn die Künstler aus anderen Erdteilen oder Megacitystädten kommen. Als Wissensgrundlage und zum Verständnis haben wir oft nur Dokumentationen und Nachrichtensendungen aus dem Fernsehen. Nachvollziehen kann ich ein Video von Mark Lewis, das auf der Biennale von Venedig im Pavillon von Kanada, gezeigt wird. Ein Arbeitsloser hat seine Schlafstelle, einen Schlafsack, über einem Kanalgitter am Straßenrand aufgeschlagen. In einer Sporttasche hat er seine übrigen Habseligkeiten. Eine Mineralwasserflasche, Joghurt und eine Dose mit Fertigkaffee stehen daneben. Der Dunst, der vom Kanalgitter aufsteigt, wärmt ihn. Ähnliches habe ich im Winter während meiner Lehrzeit in Spittal/Dr. gemacht. Ist es mir in der Mittagspause in meinen Halbschuhen zu kalt geworden, habe ich mich über ein Kanalgitter gestellt, mir die Füße und Hände gewärmt.
Beim Schreiben ergibt sich eine andere Frage. Wie weit darf die Verwirrtheit gehen, sodass die Texte von den Lesern noch verstanden werden. Ist es eine Beschneidung der Kreativität, wenn man sich klar und verständlich ausdrückt. Im Kopf ist der Text eine brodelnde, erhitzte Masse, die an die Oberfläche drängt. Nach dem Ausbruch langsam erstarrt und dabei bizarre Formen annimmt. Die Art des schriftstellerischen Denken ist eine Gratwanderung. Für den einen verläuft der Weg mehr rechts, für den anderen mehr links. Auch Kommentare, wie die von Siegfried Paul Posch, können eine Gratwanderung sein. Das Internet eröffnet neue Mitteilungsmöglichkeiten. Für manche muss es die Mitte sein, selbst will man im Mittelpunkt stehen. Stimmt die Mitte der Zähne, ist auch die eigene Mitte gestärkt.
Der Mittelfinger.