Wir ersticken in einer Flut von Bildern, die Wörter geraten in das Abseits. Die meisten Bilder werden nicht mit der Digitalkamera sondern mit dem Handy gemacht. Dabei wird keine menschliche Situation ausgelassen. Ob die Frau auf dem Balkon sitzt, aus der Dusche kommt oder das aktuelle Mittagessen. Hat man Besuch und sitzt im Wohnzimmer bei einem Glas Bier, vergeht keine Viertelstunde und jemand zückt sein Handy um ein Foto zu schießen, die Gesichter sind zum Abschuss freigegeben. Bei einer Feier im Partyraum zu einem runden Geburtstag ist es selbstverständlich, dass das Lachen jedes einzelnen festgehalten wird, dauert es auch nur drei Sekunden. Man will allen zeigen wie gut man sich versteht, wenn es auch nicht so ist. Ist man Mitglied beim örtlichen Gesangsverein, dann kommt der Obmann mit ein paar Sangesbrüdern um ein Ständchen zu singen. Alles auf der Homepage nachzuschauen.
Bei einer Veranstaltung der Wirtschaftskammer, ein Vortrag eines bekannten Zukunftsforscher, drängen die Funktionäre in das öffentliche Interesse. Niemand will es versäumen, zusammen mit den Landespolitikern, in die Tageszeitung zu kommen. Über die Zukunft kann man nach dem Vortrag nur rätseln und Überraschungen sind nicht ausgeschlossen.
Sitze ich auf dem Hauptplatz der Draustadt, dann kann ich den gezückten Handys mit meinen Augen folgen und dabei eine fotografische Reise über den Hauptplatz machen. Von einer Hausfassade zur Anderen, von einem Denkmal zum Nächsten. Es wird nicht vergessen auch die Frau und die Kinder auf das Bild zubringen.
Ziehen Jugendliche in einer Gruppe durch die Stadt wird es rasanter. Das gibt mehr Aktion, komische Situationen, da werden die Mädchen von den Buben geschubst, eine Tasche wird geschnappt, einem Mädchen nachgelaufen, wie soll man sonst seine Gefühle ausdrücken. Da bleibt kein Handy in der Jacke, alles wird mitgefilmt. Besonderen Spass gibt es im Vergnügungspark. Bei einer Fahrt durch das Gruselkabinett, mit dem Gokart im Autodrom, wobei man andere Autos rammt, dass es die Freunde fast aus dem Auto schleudert. Bei der Fahrt auf der Achterbahn bleibt kein Mund geschlossen und die Gesichter verzerren sich. Diese Schrecksekunden muss man festhalten und auf YouTube online stellen, dass es alle Welt sieht. Wer schaut dort noch genau hin, wenn alle dort sind, außer man ist prominent, dass sich für die anderen das Hinschauen lohnt. Wer wird sich an diese vielen Bilder, Videos noch erinnern? Diesen Bildern wird kaum dieselbe Aufmerksamkeit zuteil werden, wie den Schwarz-Weiß-Bildern, die es noch in den Familienalben gibt. Von uns selbst, den Eltern, der Taufe oder der Hochzeit.
Rarität.
Ich bin ein Fossil.
Noch in einem Sizilenurlaub 1989 erlaubte ich mir max. en halbes Dutzend Fotos pro Tag. Ich hasste damals Bilder, die nicht perfekt waren, etwa Gebäudeansichten mit Autos davor. Ausserdem sollten die Bilder Gehalt haben und Situationen aus dem Urelaub festhalten, die hohen Erinnerungswert hatten.
Wenige Jahre später schoß ich schon 600 analoge Bilder im Urlaub.
Von einer USA-Reise kehrte ich einmal zurück, mit ebens 600 Fotos. Ich stellte zuhause fest, daß 99% der Aufnahmen die z. Teil immense Landschaftsschönheit NICHT wiedergaben – also habe ich alle Fotos in den Müll getan.
Gruß
Gerhard
Grüss Gott Schlagloch,
mir gelingt vieles nicht auf’s erste mal. Dann sitze ich und lösche.
Allzeit die Kamera gezückt ist nicht das Wahre. Aber ich hab so eine komische Art zu sehen: Tatsächlich gefällt mir die Welt und das Objekt besser mit dem Rahmen drumherum. Ich empfinde es dann intensiver.
Das löst bei vielen Mitmenschen kopfschütteln aus. Aber so bin ich halt.
Liebe Grüsse//Erika
Hallo Gerhard!
Mir geht es auch manchmal so, dass man die Besonderheit der Landschaft festhalten will und auf dem Foto ist es “Allerweltlandschaft”.
Das digitale Löschen ist heute bequemer.
Gruss schlagloch.