Die Schulanfänger warten mit den Eltern im Schulhof, sie werden von hier den Klassen zugeteilt. In der Eingangshalle versammeln sich die übrigen Schüler und die Lehrer versuchen Ordnung in das Durcheinander zu bringen. Sie schicken uns klassenweise in die Schulräume. Ich bin aufgeregt, meine Mitschüler und mich erwartet eine Überraschung, wir bekommen eine neue Klassenlehrerin. Unsere Lehrerin, der ersten und der zweiten Schulstufe, wird wieder die erste Klasse unterrichten. Sie war zu uns fürsorglich wie eine Tante. Mit viel Geduld hat sie uns das Lesen und das Rechnen beigebracht, sie war nie böse. Unser Schulzimmer befindet sich im Obergeschoß. Im Klassenraum raufen mehrere Buben miteinander, andere rutschen mit den Hausschuhen die Fensterreihe entlang. Einige Kinder streiten darüber, wer bei wem sitzen darf. Die Meisten von uns wählen den Sitznachbarn, die Sitznachbarin, aus der zweiten Klasse. Ich setze mich zu meiner Freundin Ingrid, sie lebt am Bauernhof über uns, vulgo „Kircher“. Vom Gang höre ich noch Gemurmel und die Stimme von einem Lehrer, der die Kinder auffordert nicht zu laufen und in die Unterrichtsräume zu gehen. Der Schulgong ertönt und es wird ruhig auf dem Gang. In der Klasse hat jeder seinen Sitzplatz ausgewählt, vereinzelt wird noch getuschelt. Gespannt warte ich auf die Lehrerin, die jung sein soll und aus einem anderen Tal neu an unsere Schule kommt.
Nach einer kurzen Zeit öffnet sich die Klassentür und unsere neue Lehrerin kommt herein. Wir stehen auf und sagen laut: „Grüß Gott“. Erwartungsvoll blicke ich in ihr Gesicht, welches von blonden Haaren umrahmt ist. Sie hat ein hellblaues Kostüm und eine weiße Bluse an und nickt uns freundlich zu. Jetzt steht auch der Herr Direktor in der Klasse und deutet mit einer Geste auf die Lehrerin: „Fräulein Clara, sie ist eure neue Lehrerin. Ich erwarte, dass ihr brav und folgsam seid“. Der Direktor wendet sich der Tür zu, das Fräulein fordert uns mit ihrer hellen und klaren Stimme auf: „ Kinder wir grüßen, Auf Wiedersehen Herr Direktor“. „Auf Wiedersehen Herr Direktor“, schallt es aus unserem Mund. „Ihr könnt euch setzen“, ihre Stimme klingt ganz sanft, so als würde ein Engel zu uns sprechen. Sie steht vor der Tafel und fordert uns auf, unseren Vornamen zu nennen. Dies geschieht ganz unterschiedlich, einige schämen sich ein wenig, andere kichern dabei, manche sagen ihren Vornamen laut und deutlich. Alle Namen schreibt sie der Reihe nach auf die Tafel. Ich kann meinen Blick nicht von ihren blonden Haaren und den blauen Augen abwenden. Sie hat eine Ähnlichkeit mit der Ankleidepuppe, die im dicken Katalog abgebildet ist, den uns der Briefträger in den Ferien gebracht hat. Die Mutter hat aus diesem Katalog für meinen Bruder und mich Kleider bestellt. Die Lehrerin erzählt uns vom Großglockner und von Heiligenblut, wo sie geboren wurde. Ich kann mir nicht vorstellen, dass am Großglockner immer Schnee und Eis liegt und auch im Sommer das Eis nicht schmilzt. In Heiligenblut wachsen auch keine Äpfel und Birnen, wie hier bei uns am Zollfeld. In den nächsten Wochen werden wir im Sachunterricht mehr von Heiligenblut und dem Großglockner lernen, sie wird uns auch einige Fotos zeigen. „Ich freue mich darauf, euch zu unterrichten“, sagt die Lehrerin. „Ich habe für jeden von euch ein kleines Geschenk.“ Einzeln gehen wir zum Schreibpult hinaus und jeder bekommt einen bunten Notizblock. Ihre blauen Augen strahlen mich ganz vertrauensvoll an, als sie die roten Lippen öffnet, strahlen weiße Zähne hervor. In ihrer Nähe riecht es so gut, sie duftet nach Maiglöckchen.