Beim Betreten des Kirchenraum der Wotrubakirche überrascht mich, dass die Betonquader, welche von außen betrachtet kreuz und quer stehen, im Inneren Harmonie erzeugen. Der Altarblock steht in der Mitte und die Sitzplätze für die Messebesucher sind rund um den Altar angeordnet. Möchte sich jemand während der Messe zurückziehen, kann er sich in einer der Nischen, die durch die ungleichmäßigen Anordnungen der Quader entstehen, tun. Von außen werden die Fenster in der Betonmasse kaum wahrgenommen, innen sind sie präsent. Kurze Zeit zeigte sich die Sonne, das Spätsommergrün der Bäume und das Blassblau am bewölkten Himmel besuchte den Sakralraum. Die Betonquader erzeugen einen Schutzraum, der für verschiedene Zwecke dienen könnte. Man sitzt in einer Höhle, welche einem Angriff von außen standhalten würde. Abgeschirmt, von wem, dies muss ich erst herausfinden und was suche ich in dieser Abgeschiedenheit? Spannend ist für mich die Verwandlung der groben Filzstiftskizzen und der massigen Tonmodelle in der Ausstellung zu diesem Sakralbau. Ist es bei der Betrachtung des Baukörpers von Bedeutung, wie gläubig und welches Glaubensverständnis Wotruba hatte?
Zur Mittagsstunde betritt eine festlich gestimmte Schar von Menschen, allen voran die Taufpatin mit dem Neugeborenen, die Kirche. Sie versammeln sich um das Taufbecken. Ein etwa dreijähriges Mädchen wiegt eine Puppe in ihren Armen, auf dieselbe Art wie die Taufpatin das Baby. In der Kapelle beginnt die Taufzeremonie, was wird der Pfarrer der Patin, den Anwesenden, dem neuen Erdenbürger auf ihren Lebensweg mitgeben?
Vor ein paar Stunden sah ich im Frühstücksraum des Azimut Hotels in den Armen einer jungen Mutter ein etwa einjähriges Kind. Mit einer Hand hat es den Pulli seiner Mama hochgeschoben und genussvoll an ihrer Brust gesaugt. Im Trubel und Gedränge des Frühstücksraums ist diese Episode weitgehend unbeachtet geblieben. Mir wäre sie auch entgangen, wenn die Familie nicht in meinem Blickwinkel gesessen wäre. Am meisten irritiert von der Ungezwungenheit der Mama waren die anwesende Oma und der Opa.
Eine Frau, welche auch den Weg von der Straßenbahn zur Wotruba Kirche genommen hatte, verabschiedete sich mit der Feststellung, dass die Kirchenfenster einmal geputzt gehörten. Aus dem Tageheft 258