Er hat es sich zur Aufgabe gemacht mehrmals die Woche eine kleine Studie zu verfassen und teilt dies per Weblog „schlagloch“ einer stetig wachsenden Internetgemeinde mit. Einzelne Leser treten auf der Internetplattform mit ihm auch in eine Diskussion über das Geschriebene ein. Vom Deutschen Literaturarchiv Marbach werden ausgewählte Online-Publikationen, so auch das Blog „schlagloch“ auf der Plattform Literatur-im-Netz langzeitarchiviert. Einige „Schlaglöcher„ hat er materialisiert und zu Büchern gemacht: Zeitenwandel (2009); Die Beobachtungen (2011); Bruchstellen (2015).
In der kahlen und kalten Jahreszeit denkt man mit Sehnsucht daran, wie es im Frühling in der Natur zu wachsen und blühen beginnt. Wie die Bäume Blätter bekommen, das Gras wächst und die Felder grün werden. Wachstum beschränkt sich nicht auf Bäume und Pflanzen. Am gegenüberliegendem Berghang kann ich beobachten, wie der Schnee auf der Abfahrtsstrecke über Nacht Meter um Meter talwärts wächst. Die Skiliftbetreiber haben heute keine Geduld mehr auf den natürlichen Schnee zu warten. Der Tag, an dem der Schibetrieb gestartet wird, wird im Sommer festgelegt. Der Winterspaß beginnt auf Knopfdruck.
In der Vorweihnachtszeit ist das Bedürfnis von den Mitmenschen verstanden zu werden besonders groß. Diese Erwartung haben die meisten Menschen. Im Weihnachtstrubel ist es schwierig für die Anderen Verständnis und Geduld zu zeigen. Eine Fülle von Hilfsaktionen werden gestartet um in Not geratene Menschen zu helfen. Es wird an unsere Menschlichkeit appelliert. Menschlichkeit kann man im Alltag beweisen: Wenn ich im Straßenverkehr einen anderen Autofahrer problemlos einreihen lasse, mich trotz Zeitnot im Supermarkt bei der Kassa nicht vorschwindle. Mir die Zeit nehme und jemanden der keine Ansprache mehr hat mit Interesse zuhöre.
Im Weihnachtsevangelium zeigt der Stern den Hirten an, wo Jesus geboren wird. Auch heute ist der Stern ein Symbol für die Weihnachtszeit. Es gibt ihn in verschiedener Ausführung. Ich kann den Weihnachtsstern in einem Topf kaufen und bei guter Pflege blüht der Weihnachtsstern rot. An den Wohnungstüren und Fenstern sieht man Weihnachtssterne aus Stroh, Weidenruten, Goldfolie und anderen Materialien hängen. Im Neonzeitalter blinken und glitzern die Weihnachtssterne in allen Farben an Garageneinfahrten, Hauseinfriedungen und Dachfirsten. Über dem Eislaufplatz gibt es einen künstlichen Sternenhimmel. Marktplätze und Einkaufsstrassen schmücken sich mit elektrischen Weihnachtssternen. Der Weihnachtsstern vom Einkaufszentrum erleuchtet meine Wohnung.
Vier Wochen vor dem Heiligen Abend bin ich ratlos und auf der Suche nach Weihnachten. Zu meinen Weihnachtserinnerungen gehört viel Schnee und jetzt gibt es im Süden von Österreich im Tal noch keinen Schnee. Ich glaube, egal wie alt man gerade ist, wir haben immer die Weihnachten unserer Kindheit vor unseren Augen. Zu meiner Kindheit gehörte das Zusammenleben mit Tieren auf einem Bauernhof. Meine besten Freunde waren der Hofhund „Wächter” und der schwarze Kater „Murli” und andere Haustiere. Als der Hofhund „Wächter” verendete, konnte ich lange nur bei geöffneter Zimmertüre schlafen. In der Dunkelheit sah ich den „Wächter” auf der Zimmerwand laufen. Der Kater Murli war über fünfzehn Jahre alt, immer unterwegs und mit einem zähem Leben ausgestattet. Er schaffte es von seinen Beutezügen trotz Bisswunden, hinkenden Beinen, angeschossenem Hinterteil, nach Hause zukommen. Einmal schneite es einige Tage vor Weihnachten einen halben Meter. Der Kater Murli blieb verschollen. Nach der Schneeschmelze wurde er bei der hinteren Hausmauer gefunden, er ist dort wohl an Erschöpfung oder Altersschwäche gestorben. Am Tag des Heiligen Abend ist eine feierliche Stimmung auf dem Bauernhof. In Haus und Hof wurde gekehrt, geputzt und gekocht. Man ging etwas früher als an anderen Tagen in den Stall um die Tiere zu füttern und die Kühe zu melken. Es kam mir vor als spürten die Tiere etwas von der Besonderheit dieses Tages. Es gab für sie eine Extraportion Leck. Um Haus und Hof wurde es still. Die Autogeräusche vom Talboden verschluckte der Schnee. Es gab keine blinkenden und laufenden Weihnachtsbeleuchtungen, nur wenige Lichter in der verstreuten Nachbarschaft. Mit Einbruch der Dunkelheit kam die Stille über die Sonnseite. In der Stille ist Weihnacht.
Ich persönlich kann mich nur schwer zurückversetzen in die Weihnachtzeit als Kind, weiß nur unbestimmt, daß es eine Zeit war, die einlud zur Besinnlichkeit und zur festlichen Freude.
Jetzt suche ich gewöhnlich das Weite an solchen Tagen. Mir sind Festtage ein Greuel. Wohl eben, weil es keinen Weg zurückgibt.
Ich freue mich auf alle Festtage, sie bieten mir die Möglichkeit auszuruhen und mich mit etwas zu beschäftigen, was ich gerne mache. Um den Trubel zu vergessen genügt ein Spaziergang im Wald.
Gibt es einen Todesfall unter Verwandten oder Bekannten, dann hoffe ich für die Verstorbene/ den Verstorbenen, dass sich ihre Vorstellungen vom Leben nach dem Tod erfüllen. Fragt man jemanden wie er oder sie sich den Himmel vorstellen, dann erhält man keine genaue Antwort. Viele sagen, sie haben sich damit nicht beschäftigt, auch wenn sie über fünfzig Jahre alt sind. Das Sterben kommt zu letzt und niemand will sich mit den letzten Dingen beschäftigen. Es ist nicht einfach außer der Standardformel „ Aufrichtige Anteilnahme” ein paar persönliche Worte für ein Beileidsschreiben zu finden. Viele haben Angst davor, dass die persönlichen Notizen den Hinterbliebenen nicht gefallen könnten oder missverstanden werden. So unterbleibt diese Geste oft und es bleibt bei den Standardfloskel.
An zwei persönliche Beileidsschreiben, welche ich verschickt habe, kann ich mich erinnern. Bei einem Fall ist die Verstorbene jeden Tag pünktlich um acht Uhr am Wohnhaus zum Einkaufen in den Supermarkt vorbeigegangen. „Wir werden den freundlichen Morgengruß der Verstorbenen vermissen” schrieb ich an die Hinterbliebenen. In einem anderem Sterbefall bestand die Abwechslung des Verstorbenen, der körperlich behindert war darin, öfters an das nahegelegene Meer zu reisen. „Ich hoffe”, schrieb ich, „dass er einen Platz an seinem vielgeliebtem Meer bekommt”.
Ich denke, mit einem persönlichen Beileidsschreiben hätte ich Angst, das Territorium der Nächsten des Toten zu betreten. Die Nächsten mögen es vielleicht nicht, wenn man auch “einen Anteil geltend machen will”.
Noch etwas:
Ein mir naher Mensch ist vor knapp 3 Jahren gestorben. Alles, was ich jetzt über diesen sagen könnte, fühlt sich irgendwie falsch an..
Wie kann ich mich anmassen, ein Bild von ihm nach aussen abzugeben? Wo sich doch in mir dieses Bild ständig wandelt.
Ich habe nur einen winzigen Ausschnitt gesehen. Ich habe die Nöte dieses Menschen nicht erlebt. Ich war in keiner seiner Situationen.
Wie du schreibst, eine schwierige Sache. Mein Einwand ist, dass wenn ich am Leben des Verstorbenen Anteil genommen habe, dann kann ich es auch am Tod tun. Die Reaktionen waren positiv.
Eine andere Frage ist, wann nehmen wir endgültig Abschied von einem Menschen, nach einem Jahr, nach drei Jahren, nach fünf Jahren ….?
Der Besuch eines Friedhofes gehört normalerweise nicht zum Besichtigungsprogramm einer Stadt. Eine Ausnahme macht man, wenn man das Grab eines berühmten Schauspielers, Sänger oder Sportler besuchen will. Man steht vor dem Grab des Verstorbenen, liest die Inschrift des Grabsteines und erinnert sich an seine öffentlichen Auftritte. In Venzone hat man die Möglichkeit neben dem Dom gegen eine Gebühr von € 1.50 in einer Krypta Mumien „Bucaneve” zu besichtigen. In Glassärgen liegen mehrer kleinwüchsige Mumien. Die Haut ist an dem Skelett angetrocknet und man blickt in leere Augenhöhlen. Eine Mumie mit eingefallenem Brustkorb hat ihren Oberkörper halb aufgerichtet, als will er seinen Glassarg verlassen. Eine andere Mumie streckt ihren Arm seitlich aus, als suche sie Hilfe bei einer anderen Person. Eine weitere Mumie dreht den Kopf zur Seite, sie will niemanden in die Augen schauen und nicht von den Blitzlichtern der Fotoapparate geblendet werden. Bei den Mumien handelt es sich um eine Familie aus dem achtzehntem Jahrhundert.
Vom Leben als Mumie.
9 Kommentar(e)
petros / Website (21.11.07 11:47) Leichenschau war und ist modern. In Deutschland plastifiziert ein Gunther von Hagen Leichen, vom Pferd bis zum Säugling oder Teile von diesen und präsentiert sie gegen saftigen Eintritt in Ausstellungen.
LG
Petros
Gerhard (21.11.07 13:54) Hallo Schlagloch,
den Friedhof von Montmarte betrachtete ich schon als wichtigen Anlaufpunkt in Paris. Bin regelrecht dorthin geeilt, um u.a. ans Grab von Heinrich Heine und und Truffaut zu treten. Ich habe die besondere Atmospähre noch gut in Erinnerung, obwohl es schon 12 Jahre her sein muß.
Ja, der Tod ist ein Mysterium. Manche Künstler wie Dali sorgten dafür, daß selbst nach ihrem Ableben Rätsel zu bergen waren, die er zu diesem Zweck ausgelegt hatte. Ihm genügte nicht das Überleben in Bildern..
ich bezeichne mich selbst nicht als gläubigen ( im herkömmlichen Sinne ) Menschen, aber Kirchen und Friedhöfe haben mich auf meinen Reisen schon immer interessiert. Vielleicht ist es mehr die Architektur und die besondere Atmosphäre, die mich fasziniert.
Deine Beschreibung der Mumien hinterläßt bei mir eher ein gemischtes Gefühl, wenn ich mir vorstelle, wie sich ein Toter aus seinem Grab erheben möchte…..
Mein Bruder ist eingeäschert worden, was sicher auch keine schöne Vorstellung ist. Aber für mich ist diese Phantasie “angenehmer”, als die von einer “flüchtenden” Leiche.
Viele Grüße
Mo
weichensteller / Website (21.11.07 21:36) Ist ja bedauerlich, wenn einer nicht einmal im Tod verschwinden darf, und noch seine Überreste ausgestellt werden.
Aber noch bedauerlicher, wer schon zeitlebens als Mumie geht
schlagloch Hallo Gerhard!
Ich besuche lieber das Geburtshaus von einem KünstlerIn oder das Wohnhaus, wo er/sie gelebt und gearbeitet hat. Vielleicht schwebt noch ein Funke von “Genie” durch die Luft. Berühmte Beispiele: Salzburg/Mozart/Trakl;
Weimar/Goethe/Schiller
Hoffe von anderen Orten, wie Buchenwald oder Dachau, dass die geschundenen Menschen Frieden gefunden haben.
Gruss schlagloch.
schlagloch Hallo Mo!
Interessant sind die Inschriften von alten Grabsteinen wo alles eingraviert wurde, der Beruf, der Besitz, der Titel , der Familienstand usw. Eine Kurzbiografie.
Gruss schlagloch.
Habe ich richtig gelesen, dass manche ihren Körper (Leiche) an Gunther von Hagen verkaufen? Mich sieht man in diesen Ausstellungen nicht, obwohl vieles in der Medizin und in der Malerei durch Studien an Leichen erreicht wurde.
Gruss schlagloch.
weichensteller / Website (23.11.07 00:31) Hallo Schlagloch!
Es gibt Menschen, die sind so lebendig und beweglich wie Mumien. Schaut ja recht gut aus, aber was daraus wird?
Die Menschen haben mit einem Krankenhausaufenthalt ganz unterschiedliche Erfahrungen. Vielen kann heute mit den Möglichkeiten der Medizin rasch geholfen werden. Oft verläuft ein Leben ohne, oder nur mit kurzen Krankenhausaufenthalten. Für manche genügt der Besuch beim Haus- oder Facharzt für ein beschwerdefreies Leben.
Das Wort Krankenstation hat für mich einen eigenen Klang, es hat sich tief in mein Bewusstsein eingeprägt. Dieser Klang aus der Jugendzeit ist immer noch da, aus der Zeit als ich eine Internatsschule besuchte. Die Krankenstation befand sich im Erdgeschoss, die Fenster waren vergittert und abends wurde die Zimmertür von der Krankenschwester abgesperrt. Die Behandlung bestand hauptsächlich in der Verabreichung von verschiedenen Tees und verschiedenen Wickel. Während meiner Schulzeit musste ich nur einmal in der Krankenstation behandelt werden. Als Jugendlicher fühlte man sich eingesperrt, in seinem Bewegungsdrang eingeschränkt.
Die Erlebnisse aus der Jugendzeit prägen den Menschen ein Leben lang. Bis heute hatte ich das Glück mit wenigen und kurzen Krankenhausaufenthalten auszukommen. Manches hätte in einer Facharztpraxis geklärt werden können. Mein Bestreben war, das Krankenhaus bald zu verlasen, erst gar nicht in die Krankenstation verlegt zu werden. Sozusagen vom Untersuchungszimmer nach Hause.
Krankenstationmen sind der Horror, aber oft auch Altersheime.
Eine Freundin von mir hatte mal die Idee, mit Freunden eine Alterswohngemeinschaft zu gründen. Wir sollten dann, wenn es soweit ist oder noch ein paar Jährchen dahin, zu fünft ein Häuschen kaufen.
Es ist nichts daraus geworden (was wohl gut so war).
Aber auf dem Papier eine gute Idee…
Man sollte sich damit beschäftigen…
schlagloch
Hallo Gerhard!
Ist man auf der Krankenstationen hat man noch die Hoffnung das Krankenhaus gesund zu verlassen. Das Zimmer im Altersheim wird man kaum noch einmal verlassen.
Gruss schlagloch.
Ich war bis dato nur ein Mal als Jugendliche für eine OP im Krankenhaus und habe nicht mehr viele Erinnerungen daran. Auch wenn ich mich an keine traumatischen Dinge entsinne, ist schon ein Besuch im Krankenhaus für mich ein Horror.
Irgendwie ist es eine eigene Welt, in die man sich plötzlich versetzt fühlt. Eine Welt mit seltsamen Gerüchen und zum Teil schlimmen Anblicken…… Genauso habe ich bei den Besuchen im Altenheim empfunden.
Hoffen wir, dass uns allen das noch sehr lange erspart bleibt.
VG
Mo