Über schlagloch

Er hat es sich zur Aufgabe gemacht mehrmals die Woche eine kleine Studie zu verfassen und teilt dies per Weblog „schlagloch“ einer stetig wachsenden Internetgemeinde mit. Einzelne Leser treten auf der Internetplattform mit ihm auch in eine Diskussion über das Geschriebene ein. Vom Deutschen Literaturarchiv Marbach werden ausgewählte Online-Publikationen, so auch das Blog „schlagloch“ auf der Plattform Literatur-im-Netz langzeitarchiviert. Einige „Schlaglöcher„ hat er materialisiert und zu Büchern gemacht: Zeitenwandel (2009); Die Beobachtungen (2011); Bruchstellen (2015).

vergnano 1882

Das Umland von Feldkirchen prägen große landwirtschaftliche Flächen. Viele Bauern in der Region betreiben Rindermast. Unter großem Zuspruch der Bevölkerung finden in der Tiebelstadt mehrere kulinarische Schmankerln, wie das Gulasch- und Rindfleischfest, statt. Über mehrere Tage wird beim Amthof von den Rinderbauern und der Gastronomie gekocht und gefeiert. Es gibt lokale Betriebe, welche sich dem Fleischgenuss entgegenstemmen. In der Tiebelgasse befindet sich das Café und Restaurant Veggie, im Lokal wird der Kaffee der Rösterei vergnano 1882 serviert. Das gleichnamige Café vergnano 1882 gibt es bei der Rialto Brücke in Venedig. Mir ist das Café sehr präsent, da ich während der Coronapandemie zweimal in Venedig war, im Jahre 2020 und im Jahre 2022. Auszug aus meinen Tageheften.  

Nach dem Bummel durch den Obst- und Fischmarkt am Fuße der Rialtobrücke besuche ich das Café Vergnano. Ich gönne mir einen Sitzplatz, für denselben Cappuccino gibt es  zwei unterschiedliche Preise. Er ist billiger, wenn man ihn stehend an der Theke trinkt und teurer, wenn man sich niedersitzt. Viele Cafés und Restaurant in der Nähe der Realtobrücke haben geschlossen. Rechts und links von mir sitzen Italiener, in Vorcoronazeiten brauchte man etwas Glück um hier einen Sitzplatz zu ergattern. Das ältere Ehepaar liest in den Zeitungen, der Herr liest die Il Gazettino, die Frau die La Repubblica. Sie stehen für verschiedene politische Richtungen. Die Titelschlagzeile der Zeitung Il Gazettino „Virus carabineri al centro migranti“. Meine ersten Venedig Fotos auf WhatsApp werden von der Verwandtschaft reserviert aufgenommen. Abwartend, mit welchem Corona Risiko ich in Venedig unterwegs bin. Ein Post in der Verwandtschaftsgruppe lobt die Kärntner Seen und Berge, was braucht es Venedig? Ich beginne mit dem Sammeln von Erinnerungsstücken aus den Cafés, als ungewolltes Souvenir könnte ich ein Coronavirus mitbringen. Mit rotem T-Shirt, schwarzer Hose und einem Strohhut am Kopf, spricht der Gondolieri die vorbei flanierenden Besucher an, und wirbt für eine Gondelfahrt mit Spezialpreisen. Um 11.45 Uhr breche ich vom Café Vergnano auf.

Schutzmantelmadonna

Zu den Routinehandlungen bei einem Arztbesuch zählt das Messen des Blutdruckes, des Blutzucker und des Sauerstoffgehalt im Blut. Der Blutdruck muss ein magischer Parameter sein. Mir wurde bei jedem Hausarztbesuch der Blutdruck gemessen. Um den Arzt zu entlasten wird dies in den meisten Fällen von der Ordinationshilfe durchgeführt. Dabei gibt es ein Phänomen, dass der Blutdruck in der Ordination zumeist höher ist, als wenn ich den Blutdruck entspannt zu Hause messe. Diese Differenz ist bekannt und wird berücksichtigt. Bei meinem letzten Besuch im Warmbader Thermalbad sah vor der Kurarztordination neben den Stühlen einen kleinen Tisch und darauf ein Blutdruckmessgerät. Für mich gab es zwei Möglichkeiten, die Assistentin misst bei den wartenden Kurgästen vorab den Blutdruck oder hat das Gerät hier abgelegt. In Kurzentren ist es öfters üblich den Kurgästen außerhalb der Ordinationszeiten ein Blutdruckgerät zur Verfügung zu stellen. Gibt es noch eine andere Variante?  Auf einem Flyer wurden die Kurgäste aufgefordert vor dem Aufruf zum Kurarzt selbst den Blutdruck zu messen und auf einem Blatt zu notieren. Dieser Wert soll dem Kurarzt vorgelegt werden. Danach das Blutdruckgerät zu desinfizieren. Die Selbstbedienung im Gesundheitswesen nimmt konkrete Formen.

anfassen

Benötigt jemand in der Familie eine schwerwiegende ärztliche Behandlung, dann verunsichert dies nicht nur den Patienten, sondern auch die Angehörigen. Der Eingriff legt sich davor und danach wie ein Schatten über die Tage. Es kommt der Moment, wo man bei der Erstaufnahme aufgerufen wird. Unsichere Stunden für den, welcher hierbleibt und für den, der nach Hause gehen darf. Die Begleitperson trägt die notwendigen Utensilien für den Patienten und landet damit in den Armen der Aufnahmeschwester: „Sie können mir alles geben, ich nehme ihnen alles ab, die Befunde, die Jacke, den Koffer, alles.“ Auch die Frau, sie ist eine gründliche Krankenschwester. Auf die vielfältigen Leiden hat der Glaube keine Antwort. So viel, dass Gott seinen eingeborenen Sohn hat leiden und sterben lassen. Wer sind wir, dass wir uns anmaßen das Leiden und als letzten Akt das Sterben zu besiegen. Uns bleibt, dass wir wie Jesus bitten können, der Krankheitskelch könne an uns vorübergehen. Wie Jesus uns fügen, nicht mein sondern Gottes Wille geschehe.

Die Ärzte vertrauen nicht mehr auf ihre Hände, zur Abklärung von gesundheitlichen Beschwerden bei den Patienten. Die Patienten werden routinemäßig zum Röntgen und zum Ultraschall überwiesen. War dies immer so oder hat sich seit der Coronapandemie das nicht anfassen in unsere Psyche und unser Benehmen eingetragen. Bei jedem Anfassen könnte ein neues oder ein altbekanntes Virus eingefangen werden?  In der Bibel werden etliche Male über die Heilung von unreinen Menschen berichtet. Dabei sind es die von bösen Geistern verunreinigten Seelen. Heute fürchten wir uns vor unreinen Handläufen, Türgriffen und Essbesteck mehr als vor unreinen Geistern. Bei den Dämonen erweist sich Jesus Wort stark, immer wieder befiehlt er den Dämonen von den Menschen loszulassen.

temporekord

In den Jahrzehnten nach 1950, wo der Tiefkühlschrank noch nicht das non plus Ultra jeder Küche war hat es ein Kammerl, die Speis gegeben. Die Speis war von der Küche aus erreichbar und diente zur Aufbewahrung von Lebensmittel. Sie hatte ein kleines Fenster für die Frischluftzufuhr und lag an der Schattseite vom Haus. Dies sorgte in der wärmeren Jahreszeit für kühle Temperaturen. Ausgestattet mit Holzregalen lagerten dort die Grundnahrungsmittel: Zucker, Salz, Spaghetti, Mehl, Kartoffeln, Wurst und Käse. Wichtig für größere Familien, da vieles nicht in Deka Portionen eingekauft wurde. Der Einbau einer Speis ist heute bei den Wohnungen aus der Mode gekommen.  Bei den Bauern war es ein Vorratsschrank in einem Gewölbe in der Laben und damit vor Sonneneinstrahlung geschützt. Der Schrank, wo größere Mengen an Grundnahrungsmittel aufbewahrt wurden, konnte auch in einem nördlich gelegenen Zimmer stehen. Dort lagernde die Hauswürstel und der Gailtaler Speck, das selbstgebackene Brot und ein Laib Stangenkäse. Einerlei von wem das Zimmer benützt wurde, dies konnte das Eltern- oder Kinderschlafzimmer sein.

Heute ist ein Kühlschrank in jedem Haushalt obligatorisch. Lebensmittel in größerem Umfang einzukaufen ist für die Wenigsten eine Option. Der Einkauf im nahen Supermarkt gehört für die Rentner zum täglichen Alltag. Beim Bezahlen an der Supermarktkassa kommen die Pensionistinnen von den nahen Wohnblocks in Völkendorf an ihre physischen und psychischen Grenzen. Ein ungleiches Paar, der junge Mann an der Kassa welcher im Rekord Tempo die Waren über den Scanner zieht und die Pensionistin, welche sich Mühe gibt die Waren in der Einkaufstasche zu verstauen. Diese ungleiche Situation wiederholt sich stündlich. Kaum jemand macht sich darüber Gedanken, schaffen die Pensionistinnen diese Beschleunigung oder sollte es für Pensionisten eigene Kassenstellen geben? Die Möglichkeit in Ruhe die Lebensmittel in den Beutel am Rollator zu geben. Die Rentner sind erleichtert, wenn sie mit dem Rollator den Supermarkt in Richtung Wohnblocks verlassen können.

kassensprint

Die Bezahlung wird in den Baumärkten weiter beschleunigt, indem der Kunde die gekauften Waren selbst scannt und bezahlt. Geht es nach den Wünschen der Konzernleitung wird die Kassiererin alsbald überflüssig sein. In Zukunft soll der Kunde durch die Baumärkte streifen, sich die Ware in den einzelnen Abteilungen zusammenklauben und die Bezahlung selbst vornehmen.

Meine Beobachtung bei der Abfertigung an den Supermarkt- Möbelmarkt- und Baumarktkassen ist, dass bei dem Kassenpersonal jedes Gespür für den Wert der Waren verloren gegangen ist. Die Kassiertätigkeit erstreckt sich darauf blitzschnell zu erkennen, wo sich der Strichcode befindet und wie man diesen artgerecht über den Scanner zieht. Ob der Preis dem Produkt entspricht, entzieht sich der Wahrnehmung des Kassierers, alles muss schnell gehen. Mit körperlichem Einsatz wird an der Abarbeitung eines Einkaufes gearbeitet. Mit dem ersten Artikel wird der Kassensprint eröffnet und der zumeist junge Kassierer wendet keinen Blick mehr vom Zubringerband. Erst wenn der letzte Artikel von meinem Einkauf gescannt war, richtet sich der junge Mann auf und sagt: € 78, 80 in Bar oder mit Karte. Alle Waren befinden sich auf dem Staatsgebiet des Kunden. Die ältere Generation ist zumeist ob des Andrangs hereinstürmender Ware auf ihr Staatsgebiet überfordert. Ein geregeltes und geruhsames Einpacken in die mitgebrachte Einkaufstasche ist nicht möglich. Im besten Fall schafft man es bevor der nächst Kunde drankommt, zeitgerecht alles im Einkaufs- Waggerl anzuhäufen. Aus Mitleid kommt es manches Mal dazu, dass der nächste Kunde mithilft die Butter, die Marmelade, den Käse und den Salat in die Einkaufstasche hineinzustopfen.