betenundwachen

Mit dem Beten nichts am Hut haben.

Wie eigenartig wir mit dem Tod umgehen erschließt sich auch, ab wann wir die Todesanzeigen in der Regionalzeitung lesen. Bis zu meinem sechzigsten Lebensjahr habe ich diese Seite automatisch überblättert. Einen Blick auf die Todesanzeigen zu werfen ist für mich nicht in Frage gekommen. Es musste unumgänglich sein, wenn ich an einem Begräbnis im Ort teilgenommen habe. Zumeist bei dem in Kärnten üblichen Beten und Wachen in der Totenhalle, am Vorabend des Begräbnisses. Dabei ist der Anblick des Sarges nicht verstörend, der Verstorbene ist noch mitten unter uns, für mein Gefühl hört uns der Verstorbene beim Rosenkranzbeten zu. Er fragt sich, warum haben sich so viele Menschen hier versammelt? Ich bin mitten unter euch, ich verstehe euch, leider könnt ihr meine Worte nicht hören. Etwas ist zwischen mir und euch unterbrochen worden. Blicke ich aus meinem Unterschlupf auf eure Reihen in der Aufbahrungshalle, so wundere ich mich über einige, dass sie hier sind. Von manchen war ich als BBU-Arbeiter geringgeschätzt. Mir war zu Lebzeiten wichtig eine saubere Arbeit zu hinterlassen und ein kühles Bier im Waldcafé zu trinken. Wo ist eigentlich der Kumpel, dem ich im Garten geholfen und auf Wunsch mit dem Auto in den Ort geführt habe?  

Eine bunt zusammengewürfelte Gesellschaft, welche sich an meinem Sarg zum Beten und Wachen eingefunden hat. Darunter einige Kollegen, welche mit dem Beten nichts am Hut haben. Bei dem einen und anderen Glas Bier davon überzeugt waren, mit dem Tod ist es aus. Aus ihrer Überzeugung auch kein Hehl gemacht haben, es gibt kein Jenseits, keinen Himmel und keine Hölle, es hilft auch kein Beten. Jetzt haben sie ihre Hände wie Kinder zum Beten gefaltet. Dieser Anblick wärmt mir das Herz, ist es noch das Herz, was mich am Leben erhalten hat?

damoklesschwert

Mit dem Tod ausgesöhnt.

Beim Älterwerden führt kein Weg daran vorbei, dass ich mich mit dem Sterben und dem Tod beschäftige. Ungewollt, denn in meiner Bibliothek befinden sich einige Bücher welche Anleitungen und Erkenntnisse zum glücklichen Altern anbieten: Ernst Pöppel, Je älter desto besser; Michael Lehofer, Alter ist eine Illusion oder Johannes Huber, Länger leben, später altern.  Aber schließt gesund und glücklich zu altern die Fragen nach dem Sterben und dem Tod aus? Die Beschäftigung mit dem Tod wird heute immer weiter nach hinten verschoben. Wir sprechen heute von verschiedenen Stufen des Alterns: Junge Alte 60 – 74; Betagte Alte 75 – 84; Hochbetagte 84 – 89 und als letzte Stufe des Alterns, Höchstbetagte 90 – 99.  Dies war vor einem halben Jahrhundert anders, damals galt man ab sechzig Jahre als alt und mit siebzig Jahren konnte man sich auf das Altenteil setzen. Die Beschäftigung mit dem Tod ermöglicht erst ein glückliches und sinnerfülltes Altern. Bin ich über das Damoklesschwert des Sterbens, welches über jeden Menschen schwebt nicht im Reinen, dann kann ich in dieser Welt nicht glücklich werden. Wie kann ich ein Stück Brot mit Butter und Honig genießen, wenn mir der Gedanke an den Tod alles vermiest. Habe ich mich mit dem Tod ausgesöhnt, dann kann ich das Honigbrot genießen, den Honig auf der Zunge zergehen lassen.

Bei einem Begräbnis habe ich den Moment verabscheut, wenn nach dem letzten Gebet, wie auf ein Kommando am Kasernenhof, sich eine Seitentür der Totenhalle geöffnet hat und vier, in schwarze Arbeitsmäntel gekleidete Männer eingetreten sind und den Sarg aus der Aufbahrungshalle getragen haben. Vögeln gleich, welche sich aus vier Himmelrichtungen auf die Beute stürzen und die Beute mit ihren Krallen fortschleppen. Der Friedhof in Arnoldstein ist von Baumgruppen und Blumeninseln durchwachsen, um dem Tod etwas vom Schrecken zu nehmen. Ein Parkfriedhof, welcher uns an zärtliche und verliebte Stunden erinnern soll.

wartebereich

Beim Austausch von ein paar Sätzen können Gemeinsamkeiten gefunden werden, aus einer kurzen Begegnung heraus. Eine Treppe dazu, ist man bereit von sich etwas zu erzählen. Keine Mauer zu errichten und nicht alles für sich zu behalten. Dies verlangt nicht, dass man seine tiefsten Erlebnisse preisgibt, sondern stufenweise vorgeht. Zumeist ist es so, gegenüber einer fremden Person, von der man annimmt sie nie wieder zusehen, erzählt man schnell etwas Erlebtes. Im Bewusstsein dies wird eine einmalige Begegnung bleiben. Zurückhaltender ist man zumeist, wenn es sich um weitschichtige Bekannte handelt, denen man wieder über den Weg laufen kann. Beim Warten auf eine Untersuchung im Krankenhaus ist es nichts Ungewöhnliches, wenn ich mit anderen Patienten in das Gerede komme. Schon an der Körperhaltung kann ich erkennen, ob bei jemandem das Bedürfnis zu einem Gespräch besteht. Manches Mal führt die Plauderei zu einer Erleichterung, sie lenkt von den Sorgen vor einer Untersuchung ab und verkürzt die Wartezeit. Beim Gegenüber im selben Wartebereich könnte es sich um eine Person mit ähnlichen Beschwerden handeln, eventuell ist diese Person hier zu einer Nachkontrolle und ist schon genesen.

Überraschung besteht, komme ich neben einem Patienten zu sitzen, der in der nächsten Ortschaft daheim ist. Die Frau, welche auf die Nachkontrolle einer Hüftoperation wartet, ist vis a vis von Ferndorf, in Paternion zu hause. Das verbindet und die Erinnerung aus der Jugend, dass es eine Fähre, Überfuhr, über die Drau gegeben hat. In der Lang, dort konnten die Leute schnell von der Schattseite in die Sonnseite übersetzen. Anderseits benützten auch Schichtarbeiter vom Heraklithwerk die Überfuhr. Bei der Errichtung der Drau Kraftwerke wurde in Paternion eine Straßenverbindung über die Drau errichtet.

landgemeinden

Bei einer Jause anlässlich eines Familientreffen wurde vor kurzem über Mobilität diskutiert, über den Umstieg auf die propagierten öffentlichen Verkehrsmittel. Im konkreten über die Situation in den sogenannten Landgemeinden, in den kleinen Ortschaften, welche eine Landgemeinde ausmachen. Dazu gab es eine eindeutige Meinung, ohne eigenes Auto geht es nicht, auch wegen des unterschiedlichen Alters der Bewohner. In den Häusern leben zumeist zwei oder drei Generationen unter einem Dach. Dabei ist die älteste Generation, die des Öfteren keinen Führerschein besitzt darauf angewiesen, dass die Jüngeren mit dem Auto Fahrdienste leisten, um an einem Seniorennachmittag oder am Sonntagsgottesdienst teilzunehmen. In diesem Lebensabschnitt stehen Arzttermine an der Tagesordnung, beim Hausarzt, dem Augenarzt, dem Urologen und dem Orthopäden oder ein Termin bei einem Hörakustiker. Im Alter fehlt die Fitness eine dreiviertel Stunde zur Bus- oder zur Bahnhaltestelle zu gehen. Die Gehöfte liegen in vielen Bundesländern zerstreut in Hanglagen. Den Weg in das Tal zu einem öffentlichen Verkehrsmittel wäre von manchen noch zu schaffen, der Rückweg auf den Berg würde an den körperlichen Einschränkungen scheitern. Mit Müh und Not können manche Rentner fünf Minuten lang bergangehen.

Die Umstände der Mobilität am Politzner Berg kenne ich aus meiner Jugend. Über Jahre bin ich eine dreiviertel Stunde zum Bahnhof nach Ferndorf gegangen, frühmorgens bei Sonnenschein, aber auch im Halbdunkel im Winter. Die Kälte im Winter, morgens beim Weggehen und abends beim Heimkommen, ist mir in Erinnerung geblieben. Zumeist war ich gegen sie unzureichend geschützt, egal ob beim Schuhwerk oder bei der Bekleidung. Es waren dieselben Schuhe, Sommer wie Winter. Keine warme Jacke, auch im Winter einen Sakko, der zumeist zu klein war und die Knöpfe vorne geöffnet.

autokauf

Wahrscheinlich werde ich, passiert nicht etwas Unvorhergesehenes mit 75 Jahren der Meinung sein, für einen Verkehrstest ist es mit 80 Jahren früh genug. Mit 80 Jahren sagen, mit 85 Jahren ist es früh genug und so weiter. Soweit in die Zukunft zu planen wage ich nicht, dafür habe ich zu viel Demut gegenüber dem Geber und dem Nehmer alles Leben.

Zum Mobilitätsverhalten der Landbevölkerung kommt mir eine Begebenheit in Oberösterreich in den Sinn. Dorthin wurde eine Holzverarbeitungsmaschine geliefert, ich fungierte als Beifahrer. Der Käufer war ein Bauer in einer ländlichen Gemeinde. Dort angekommen verlangte es die Höflichkeit, dass man die Brettljause, welche von den Bauersleuten angeboten wurde, gerne angenommen hat. Ein wenig später betritt ein älterer Herr die Küche und setzt sich ganz selbstverständlich zu uns an den Esstisch. Er wurde als guter Bekannter aus dem Nachbarort vorgestellt. Mit sichtbarer Freude erzählt er von seinem neuen Auto, einem Renault. Wie sehr er das neue Auto schätzt, so bleibt er in seinem Alter mobil. Es ist ihm möglich eigenständig Bekannte und Freunde oder Feste zu besuchen, unabhängig ob jemand aus der Familie gerade Zeit hat, ihn mit einem Auto irgendwo hinzufahren. Das Auto ist ein Garant dafür, dass er sein Pensionisten Dasein mit Leben füllen kann. Der Rentner stellt uns die Frage, wie alt wir ihn einschätzen? Nach kurzem Nachdenken, bis zu welchem Alter würde ich mir ein Neues Auto kaufen und damit unterwegs sein antworte ich: Etwa um die 75 Jahre. Er lacht darüber, dies wäre er gerne, er ist geradewegs zehn Jahr älter. Als damals 40jähriger kommen mir gleich einmal Zweifel an seiner Fahrtauglichkeit und überhaupt macht es noch Sinn mit 85 Jahren ein neues Auto anzuschaffen? Diese Bedenken habe ich laut ausgesprochen, seine Antwort wirkte wie eine kalte Dusche. Jetzt, wo die Beine beim Gehen müde werden, braucht er sein Auto notwendiger als vor dreißig Jahren.