betagte mensch

Vor der Zeit verstorben.

Die Todesanzeigen werden virtuell in den Onlineausgaben von den Tageszeitungen veröffentlicht, für die Verstorbenen kann man eine virtuelle Kerze anzuzünden. Im Internet gibt es seit Jahren eine Todesanzeige mit demselben Namen wie ich heiße. Möglich wäre, dass eine weitschichtige Verwandtschaft besteht. In den 60er und 70er Jahren war es üblich, dass man die Partezettel in der Nachbarschaft, gemeint sind die Ortschaften Politzen, Beinten, Rudersdorf, Insberg und St. Paul ob Ferndorf in alle Häuser ausgetragen hat. Das Partezettel Austragen erledigten die größeren Schüler, von den Hausleuten erhielten wir ein paar Schillinge, zumindest ein paar Zuckerlen oder eine Tafel Schokolade. Für das Ministrieren bei der Beerdigung bekam ich von der Trauerfamilie einen zwanzig Schilling Schein. Das Sterben gehörte zu den frühen Kindheitstagen dazu. Der Tod wurde für uns versüßt.

Wann beginnt der betagte Mensch? Vor fünfzig Jahren siedelte man das betagte Alter um die siebzig Jahren an. Am Vormittag fühlte sich der Altbauer nicht wohl, auch der Tee mit Rum zeigte keine Wirkung. Am späten Nachmittag machte der Gemeindearzt einen Hausbesuch und gab dem kränklichen Altbauern den Rat, er sollte sich im nahegelegenen Bezirksspital untersuchen lassen. Er füllte eine handschriftliche Überweisung aus. Ein Transport mit dem Roten Kreuz kam nicht in Frage, ein Bekannter brachte ihn mit dem VW- Käfer in das Bezirkskrankenhaus. Dort wurde ein leichter Schlaganfall diagnostiziert und er stationier aufgenommen. Von einer Behandlungsmaschinerie, wie wir es heute aus der Praxis kennen, radiologische Untersuchungen, Infusionen und Spritzen war im Krankenhausalltag damals wenig vorhanden. In der Nachbargemeinde ordinierte ein junger agiler Gemeindearzt, dem ich den Zustand des Altbauern schilderte. Dieser war davon überzeugt, Mitte siebzig sei kein Alter, hier könnte man mehr machen als nur Pflegen. Er riet zu einer Verlegung in ein anderes Krankenhaus. Am Faschingssonntag wollte ich dem Altbauern diesen Vorschlag nahelegen. Dabei meinen elektrischen Rasierapparat, welchen ich nicht mehr in Verwendung hatte, vorbeibringen. Am Sonntagmorgen bekamen sie am Bauernhof einen Anruf, der Altbauer ist nachts an einem weiteren Schlaganfall verstorben. Der junge agile Gemeindearzt ist nach der Pensionierung, vor der Zeit verstorben.

misstimmung

Man blickt direkt in die zerstörten Wohnräume.

Von Katastrophenbilder geht eine eigene Faszination aus. Verzweifelte Angehörige bahnen sich mit einer Tragbahre, darauf zwei notdürftig bekleidete Verletzte, einen Weg durch die aufgebrachte Menschenmenge. Entlang einer Straße, die von Bombentrichter übersät ist und wo sich rechts und links die Schuttmassen der beschädigten Häuser türmen. Die Fassaden der oberen Stockwerke sind eingestürzt, man blickt direkt in die Wohnräume. Diese Bilder und die Beschimpfungen der Einwohner gegen den Angreifer wiederholen sich täglich. Seit zwei Jahren sehen wir solche Bilder aus einem nahen Kriegsgebiet, seit kurzem ist ein Zweites dazugekommen.

Wie schaffen wir eine Bestandsaufnahme unserer unmittelbaren Situation? Würde dies bedeuten wir sind kleinlich, wenn wir uns auf Österreich beschränken? Hier sind wir nicht bedroht, was unsere Sicherheit und Versorgung angehen, was unseren Lebensunterhalt betrifft. In den Krisenherden eingreifen, etwas verändern, können wir als Einzelpersonen nicht. Ich zweifele an der Notwendigkeit, wenn der Außenminister, der Bundeskanzler oder der Bundespräsident irgendwo einem anderen Staatschef die Hand gibt. Der österreichische Staat kann außenpolitisch wenig bewegen. Diese Beistandsbekundungen sind eine Promotion für die eigenen Landsleute. Mein Dauerauftrag für die Initiative Ärzte ohne Grenzen gibt ihnen eine gewisse finanzielle Sicherheit für ihre medizinischen Einsätzen.

Da wir in keiner unmittelbarer Gefahr sind, müssten wir gut leben. Die eigene Missstimmung speist sich aus lokalen Missständen, die Leerstände bei den Geschäftslokalen in der Villacher Innenstadt, dass einem niemand im Hypermarkt eine Auskunft zum Badeöl geben konnte. Bei Fragen auf unfreundliche Weise darauf verwiesen wurde, nähere Informationen dem Regaletikett zu entnehmen. Es freut mich, wenn die Verkäuferin bei den Herrenhemden bei ihrer Frage, ob ich ein Hemd für den täglichen Bedarf oder für einen festlichen Anlass suche, einen aufmunternden Blick schenkt. Sie hilft mir gerne bei der Auswahl, für mich würde sie die Größen „Regular fit“ empfehlen. Ganz spontan sagte ich: „Ich suche ein Hemd, welches zu meiner eben gekauften Schuheinlage passt“. Da konnte sie sich ein Lachen nicht verkneifen.

faxgerät

Den ersten Kontakt hatte ich mit dem Telefon während meiner Ausbildungszeit in der Buch- und Papierhandlung Petz in Spittal/Drau. Meine Buch- und Papierhandlung in Arnoldstein war unter der Telefonnummer 04255 – 407 erreichbar. An der technischen Ausstattung hatte sich bis in die siebziger Jahre nichts verändert, Telefonapparat mit Wählscheibe für die Telefonnummer und Telefonhörer zum Telefonieren. Außerhalb der Geschäftszeiten konnte ich telefonieren, wenn ich abends das Telefon in die Wohnung mitnahm. Dort gab es einen Telefonanschluss mit derselben Nummer. Ein Jahrzehnt später gab es die Doppelversion, einen Telefonapparat in der Wohnung und einen im Geschäft. Beide Geräte klingelten bei einem Anruf gleichzeitig und es war einerlei wo der Hörer abgenommen wurde. In den 80er Jahren wurde am Telefonapparat die Wählscheibe durch eine Tastatur ersetzt.

Das Faxgerät habe ich als einen Fortschritt empfunden. So konnte ich schriftliche Dokumente, Bestellungen, Anfragen und Buchungen in minutenschnelle versenden. Es bedurfte keiner mehrmaligen Anrufe um den Gesprächspartner zu erreichen. In einigen Bereichen leistet das Faxgerät heute noch immer seine guten Dienste. Die Bewilligung von Heilbehelfen oder Medikamenten bei der Gebiets Krankenkasse erfolgt per Fax. Gebietskrankenkasse, ein Begriff der nicht mehr zeitgemäß ist, klingt der neue Name Gesundheitskasse schöner? Der Name kann an dem Übel der Krankheiten nichts ändern, eine optische Täuschung und eine oberflächliche Kosmetik.

Die Zeit reif für mein eigenes Handy war die Jahrtausendwende. Die vordringlichste Verwendung bestand darin, dass ich mit der Partnerin Kontakt hatte, wenn ich unterwegs war. Im geschäftlichen Bereich, teilweise auch im privaten, bevorzugte ich immer noch das Fax oder später das E-Mail. Die Gedanken beim Schreiben zu formulieren steht mir persönlich näher, als ein Telefongespräch. Das Facebook lernte ich beim Seniorenstudium Liberale an der Klagenfurter Universität kennen. Für die Gruppenarbeiten war es ein Muss eine Facebook Gruppe zu installieren und dieser beizutreten, mit allen Vor- und Nachteilen. Dabei kam es zu einigen Auswüchsen, dass Termine zur Gruppenarbeit im aller letzten Moment abgesagt und neue Termine vorgeschlagen wurden. Der Beitritt zur Verwandtschaft WhatsApp Gruppe liegt ein paar Jahre zurück. Ich bin froh, dass die Postings seit Gründung der WhatsApp Gruppe deutlich abgenommen haben. Auch ohne zehn Postings täglich kann ich gut leben, ohne der Gefahr etwas zu versäumen. So bleibt mir mehr Zeit für das wahre Leben, außerhalb des Metauniversum.

festnetz

Das Smartphon und wie es im täglichen Leben eingesetzt wird, ist aus dem Alltag des Jahres 2024 nicht mehr wegzudenken. Das Telefongespräch mit anderen Menschen, zu jeder Minute und an jedem Ort ist bei den vielen Apps zweitrangig. Vor vierzig Jahren war die Situation ganz anders. Angeregt wurde ich zu dieser Rückschau durch die Aussage von einem Jungen im Wartezimmer eines praktischen Arztes: „Er kennt nur das Smartphone, ohne Handy kann er sich den Alltag nicht vorstellen“. Die Mutter hat ihm erzählt, in ihrer Jugend wurde mit dem Festnetztelefon telefoniert. Es war ein rechteckiges Kästchen mit einer Wählscheibe zum Wählen der Telefonnummer und einen Hörer zum Telefonieren. Hat das Telefon geklingelt, hat sie den Hörer abgenommen und zum Ohr geführt. Der Hörer war mit einem Lautsprecher und einem Mikrofon ausgestattet. Viele Haushalte in Politzen hatten bis in die siebziger Jahre kein eigenes Telefon, sondern benützten den öffentlichen Fernsprecher im Gasthof Rader. Im Vorraum gab es eine Telefonzelle und die Telefongebühr wurde beim Wirt bezahlt.

Der Gastwirt fungierte auch als Übermittler von Nachrichten. Von auswärts wurde im Gasthof angerufen und eine Nachricht für einen Nachbarn durchgegeben. Der Gastwirt hat die Nachricht auf dem Notizblock von der Villacher Brauerei notiert.  War ein Kind in der Gaststube anwesend wurde es mit dem Zettel zum Empfänger geschickt. Dies funktionierte auch in der Politzen, man konnte beim Gasthaus vulgo Rader anrufen, um für den Bauern vulgo Zmölnig eine Nachricht zu hinterlassen. War die Mitteilung nach Einschätzung der Wirtsleute nicht dringend vertrauten sie darauf, dass der Zmölnigbauer an einem der nächsten Abende auf ein Bier vorbeikommen wird. Der Gasthof Rader war eine frühe Nachrichtenbörse.

Als die Post- und Telegraphendirektion dereinst eine Telefonleitung entlang des Politzner Berg errichtete waren die Wenigsten davon überzeugt, dass es einen Telefonanschluss braucht. Jahrzehnte ist man sehr gut ohne Telefon ausgekommen. Um die Telefonkosten erschwinglich zu halten wurde zumeist ein Viertel Anschluss gewählt. Hat der Nachbar auf diesem Anschluss einen Anruf bekommen oder hat jemanden telefoniert, so war der eigene Anschluss für diese Zeit blockiert. Hinter dem Wunsch für die Installation von einem Telefonanschluss standen die Jugendlichen, sie wollten mit ihren Freundinnen und Freunden telefonieren. Das Telefonieren war schon damals für die Jugend ein Highlight, wobei die Eltern sich wegen der anfallenden Telefongebühren Sorgen machten. Sie achteten darauf, dass nicht zu lange telefoniert wurde.

hineinhorchen

Es gibt das schöne Bild, höre auf deine innere Stimme, noch schöner, horche in dich hinein. Soll dies bedeuten, dass dir jemand etwas erzählen will? Gibt es eine letztendliche Distanz welche dem Verstand übergeordnet ist? Das Hören oder hinhören auf eine innere Stimme empfinde ich als einen anspruchsvollen Vorgang. Es ist überliefert, dass bei göttlichen Botschaften oft zu Beginn eine Stimme die Auserwählten auffordert, mein Sohn, meine Tochter, höre was ich dir zu sagen habe. War es vor Jahrhunderten leichter auf die innere Stimme, auf die Eigene oder auf eine Jenseitige zu hören, weil der äußere Lärmpegel nicht so groß war? Heute bedarf es eines starken Willens, die vielen Nebengeräusche welche unsere Aufmerksamkeit fordern, auszublenden. Noch besser, sich aus den Plätzen mit den vielen Nebengeräuschen zurückzuziehen. Was beim Hineinhorchen passiert, ist die eigene innere Stimme, die Stimme eines guten Freundes zu hören oder die Stimme eines transzendenten Wesens ist jeder dazu aufgefordert dies selbst zu beurteilen. Religiöse Menschen sagen es ist die Stimme Gottes. In der christlichen Tradition gibt Bibelstellen wo Gott die Hörbereiten gerufen hat. Dieses Hören und Horchen könnte auch für einen hinfälligen Körper möglich sein. Wer hinter die Schmerzen hört, könnte erfahren, was will mir diese und jene Krankheit sagen? Habe ich eine innere Botschaft überhört, eine innere Warnung missachtet.

Im digitalen Alltag sind wir weiter, eine Antivirensoftware warnt uns vor Webseiten die unserem Computer Schaden zufügen könnte. Haben wir die Fähigkeit des Hinhörens verlernt, weil wir so viele technische Hilfsmittel verwenden? Die zutiefst menschliche Verantwortung für unseren Körper, den wir als Ort für unser Bewusstsein, Empfindungen und für unsere Seele brauchen, geben wir an digitale Geräte weiter. An Universaluhren, die auf Wunsch viele körperlichen Parameter anzeigen. Diese werden als Beweis für die eigene Fortschrittlichkeit herumgereicht und mit welchen Messwerten man gerade aufwarten kann. Die Fortschrittlichen machen sich nicht die Mühe in sich hineinzuhorchen, zu spüren, was dem Körper guttut. Sie legen zu den vielen Umweltgeräuschen noch ein Startup dazu.