schuh:handwerk

Als Kind brachte ich des öfteren kaputte Schuhe zum Linder Schuster nach Ferndorf. Im Ortszentrum gab es zwei Schusterwerkstätten, eine auf der rechten und eine auf der linken Straßenseite. Die Bergler, zumeist Landwirte, kauften ihre Schuhe bevorzugt beim Linder Schuster, die Angestellten und Arbeiter vom Heraklithwerk beim Smaretschnig gegenüber. Diese Aufteilung galt auch für das Flicken der kaputten Treter. In der Werkstätte herrschte immer eine fröhliche Stimmung. Beide Schuster haben ihre Werkstätte geschlossen, auf einem Haus gibt es noch immer die Firmenreklame.

Ist es heute möglich in einer Schuhfabrik das Schusterhandwerk zu erlernen, um Schuhe für spezielle Anforderungen herzustellen? An mein Jahr in einer Spittaler Schuhfabrik erinnere ich mich gut. In der Montagehalle wurden die einzelnen Lederteile maschinell zusammengefügt. Dort herrschte keine  Werkstattromantik, es rotierte das Fließband und der Lärm der Maschinen. Es gab die traditionellen Bezeichnungen wie Leisten, Oberleder, Brandsohle oder Absatz, das Zusammenfügen der einzelnen Teile erfolgte mithilfe von Maschinen. Die ArbeiterInnen waren die Handlanger der Maschinen. Zu meiner Zeit waren es mechanische Automaten, inzwischen dürfte auch hier die Elektronik Einzug gehalten haben. In der Montagehalle herrschte ein Pfauchen und Kreischen, statt  fröhlichem Pfeifen und Singen aus der Brust des Schustergesellen. Wer damals seinen erlernten Beruf gewechselt hat erhielt den gut gemeinten Rat: Schuster bleib bei deinen Leisten.

Die oberste Priorität der Bandmeister in den Kleiderfabriken Asien ist beim Zusammennähen der einzelnen Stoffteile das vorgeschriebene Tagespensum zu erfüllen. Die Frage, ob für diese  Arbeit ein gerechter Lohn bezahlt wird, ist für die Firmenleitung nebensächlich. Der Wahlspruch meiner Frau, Kleider machen Leute, trifft  in der Öffentlichkeit immer seltener zu. Es gibt elegant angezogene Leute, anderseits nach unserem Empfinden verwahrloste Burschen und Mädchen.

Neuer Geschmack

spenden:vorhang

Geht es um die Stabilisierung einzelner Zonen in Afrika, um den Aufbau lokaler Infrastruktur oder Kleingewerbebetrieben, so liest man darüber selten etwas erfreuliches. Wenige Meldungen, dass dies und jenes in den letzten Jahrzehnten erledigt wurden. Muss ich annehmen, dass jenes, was durch die Entwicklungshilfe erreicht wurde, durch bürgerkriegsähnliche Konflikte wieder zerstört wurde?

Wie kreativ manche Spendenaufrufe sind, zeigte sich während einer Messfeier in der Vorweihnachtszeit in Völkendorf. Zwei Ministranten hatten eine Kutte über, ein Ministrant hatte sich in Rock und Bluse gezwängt. In einer Live Aktion bemühte sich ein Mitglied des Pfarrgemeinderates die Messebesucher auf diese missliche Lage hinzuweisen. Dazu stellte sie die drei Ministranten vor und erzählte, die Pfarre verfüge nur über zwei Kutten. Der dritte Ministrant fühle sich in seinem alten Outfit unwohl. Das Unwohlsein konnte man dem Ministranten am Gesicht ablesen. Dies betraf nicht nur sein Gewand, wohl auch die öffentliche Zurschaustellung. Wie auf einem Marktplatz des siebzehnten Jahrhunderts, bei einer menschlichen Abnormität.

Das Mitglied des Pfarrgemeinderates bat um Spenden für den Kauf einer dritten Kutte. Dabei geht es für die Pfarre um einen Betrag von maximal hundert Euro, der im Haushaltsplan kein Problem sein dürfte? Wenn unerschwinglich, genügt dann nicht ein Spendenaufruf, ohne den Jugendlichen vor den Vorhang zu holen?

Bischöfliches Mensalgut

spenden:ok

Die Weihnachtszeit liegt drei Monate zurück, man blickt mit Abstand auf diese Zeit. Wundert sich darüber, bei welchen Aktionen man dabei war. In den letzten Stunden vor dem Heiligen Abend wurde im Fernsehen um Spenden für die Opfer der Hochwasserkatastrophe in Kärnten geworben. Für die Spendenfreudigkeit dürfte es einen Unterschied machen, ob das Geld in unmittelbarer Nachbarschaft eingesetzt wird oder ob ein Projekt in einem fernen Kontinent unterstützt wird. Die Identifizierung mit Landsleuten ist größer, als mit jenen, wenn ein Meer dazwischenliegt. Es kann noch so viel gepredigt werden: Wir sind eine Welt, wir sind alle Brüder und in unseren Adern fließt dasselbe Blut. Wahrscheinlich verpufft der Appell, weil man ihn schon oft gehört hat. Anderseits aus den Nachrichten erfährt, dass in Afrika Kriege zwischen Volksgruppen herrschen und dabei westliche Staaten mitmischen. Die Bescheidene Infrastruktur durch Kampfhandlungen vernichtet wird. Wie viel zerstört Munition um hundert Euro, was kann mit hundert Euro aufgebaut werden?

Seit den letzten zwei bis drei Jahren setzen sich europäische Politiker dafür ein, die Lebensbedingungen in Zentralafrika zu verbessern. Angefeuert durch die Prognose von den zu erwartenden Wirtschaftsflüchtlingen. Bei mir keimt die Frage auf, was ist in den letzten fünfzig Jahren mit den Geldern der Entwicklungshilfe passiert? Warum herrscht in diesen Ländern ein solches wirtschaftliches und soziales Desaster? Hat man bei der missbräuchlichen Verwendung der Transferzahlungen ein Auge zugedrückt? Der eine und andere Potentat vereinnahmte einen Teil der Entwicklungshilfe und garantierte anderseits die Rohstofflieferungen nach Europa. Wo ist die öffentliche Aufsichtspflicht  beim Einsatz der Entwicklungshilfe geblieben? Die Gelder wurden aus den Steuerleistungen zur Verfügung gestellt. Kontrollorgane konnten drei bis fünf Tage in einem luxuriösen Hotel übernachten und haben ein oder zwei Objekte nach Vorschlag des Gastgebers kontrolliert. So hat man den schönen Schein bewahrt.

Misswirtschaft

franz:michael:felder II

Nach der Pflichtschule möchte Franz Michael Felder studieren, erfüllt aber den Wunsch seiner Mutter und bewirtschaftet den Bauernhof. Das Bedürfnis zu lesen bleibt bestehen und er bestellt sich Bücher von einer Bregenzer Buchhandlung. Dort, wird ihm erzählt, gibt es Regale vom Boden bis zur Decke, die alle mit Büchern gefüllt sind. In den Wintermonaten verdiente er sich, beim Dachschindeln fertigen, ein paar Kreuzer dazu. Dieser Nebenerwerb erlaubte es ihm aus Leipzig die Gartenlaube, eine Wochenzeitschrift, zu bestellen. Nach dem Kirchgang versammelten sich die Dorfbewohner in seiner Bauernstube, so viele darin Platz haben, um von ihm die neuesten Nachrichten zu hören. Jeder will einmal selbst die Bilder in der Gartenlaube betrachten.

Auf der Adressschleife sieht F. M. Felder seinen Namen zum ersten Mal in gedruckter Form, davon ist er ganz fasziniert. Als ich meine Kurzgeschichte Die Brille, sowie meinen Namen in der Volkszeitung abgedruckt sah, war ich tief berührt. Felder stellte in Frage, ob das Leben in immer denselben Bahnen verlaufen muss, ob es nicht bessere Möglichkeiten gibt? In seinen Aufsätzen, die er an die Redaktion der Gartenlaube schickte, formulierte er neue Lösungsansätze. Wege, außerhalb der gottgewollten Ordnung, wie es der Pfarrer von der Kanzel predigte. Mühselig versuchte er im Bregenzerwald Geistesverwandte zu finden, mit denen er sich austauschen kann. Für die meisten Dorfbewohner bleibt er ein Sonderling.

Bei mir war es der Roman von Heinrich Böll, Ansichten eines Clowns und Berichte im Der Spiegel, die aufklärerisch wirkten. Darin wurden die bürgerliche Ordnung und die katholische Lehre hinterfragt. Ist alles, wie es sonntags von den Pfarrern gepredigt wird, auch so von Gott gewollt?  Wird damit eine Hierarchie unterstützt, die den Wohlhabenden ihren Wohlstand sichert?

Kirchgang

franz:michael:felder

Franz Michael Felder lebte als Bergbauer von 1839 bis 1869 in Schoppernau im Bregenzerwald. In seinem kurzen Leben setzte er sich für die Bildung der bäuerlichen Jugend und die Gründung von Käsereigenossenschaften ein. Bis dato waren die Bauern bei der Abnahme ihrer Käselaibe dem Wohlwollen einiger Großhändler aus dem Bregenzer Raum ausgeliefert. Die Käsebarone, wie sie genannt wurden, bestimmten den Preis, der zumeist nur ihnen einen Gewinn brachte. Die Bauern hatten kein Mitspracherecht. Durch die Gründung einer Genossenschaft konnten die Käsereien im Bregenzerwald einen marktgerechten Preis fordern.

Im dreißigsten Lebensjahr verfasste Franz Michael Felder eine Autobiographie, Aus meinem Leben. Dieses Buch habe ich aufmerksam und mit  Spannung gelesen. Dabei habe ich Parallelen zu meiner Jugend auf dem Bergbauernhof festgestellt. Seinen Willen und die widrigen Umstände für das Lesen von Zeitungen, Zeitschriften und Büchern auf einem Bauernhof. Sein Bestreben neben der bäuerlichen Arbeit ein Tagebuch zu führen und schriftstellerisch tätig zu werden. Sich Wissen anzueignen und selbstständig zu denken, war in der damaligen bäuerlichen Welt nicht die Regel. Zumeist orientierte man sich an den Vorstellungen und den Anweisungen der Großeltern und Eltern. Der Pfarrer, Lehrer, Bürgermeister und der Amtsvorsteher hatten im Dorf das Erste und das letzte Wort. Diese Situation gab es auch noch in den sechziger Jahren in Politzen, hundert Jahre später.

Bereits in der Unterstufe hat Felder alles gelesen was ihm unter die Finger kam und  den Nachbarn vorgelesen. Dies waren zumeist Wochenzeitungen, welche der Vater aus dritter Hand vom Amtsvorsteher bekommt. Der Vater stirbt während seiner Grundschulzeit. Der Pfarrer sorgte dafür, dass nur kirchentreue Zeitungen, katholische Schriften aus Tirol, in das Dorf kamen. Keine aufklärerischen und gottlosen Zeitungen aus dem benachbarten Deutschland. Beim Kühe hüten im Sommer auf der Alpe hat Felder am meisten Zeit zum Lesen. Beim Hüten der Kühe habe ich mir auch immer ein Buch mitgenommen. Von der Geschichte war ich zumeist so gefesselt, dass ich einige mal übersah, wenn einzelne Kühe in das Rübenfeld fremdgegangen  sind.

Hochreiterkinder