corona:lesezeit I

Ein Buch für die frühen Morgenstunden in diesem Jahr war die Erzählung von Sophie Reyer, „Die Freiheit der Fische“. Es stand auf der Leseliste zu einem Literaturseminar. Die Geschichte: Ein Dorf zu Beginn der 80er Jahre, ein Bauernhof, die Bauersleute haben drei Kinder, zwei Mädchen und einen Buben. Der Bub, der selbstverständliche Hoferbe, ist ein in sich zurückgezogenes Kind. Durch sein schweigsames Verhalten wird er zum Ärgernis für die Familie, besonders für den Vater. Seinem Verhalten nach hält er den Buben untauglich für die Arbeit in der Land- und Forstwirtschaft. Nicht nur dass, er sieht in ihm eine Schande für die ganze Familie. Die Mutter nimmt es als ein Übel hin, dass der Bub sich anders verhält als alle übrigen Kinder im Dorf. Eine Schwester kann seine Empathie wecken, die andere steht auf der Seite des Vaters und bezeichnet ihn als nutzlosen Krüppel. So nimmt dieses teilweise tragische und teilweise berührende Leben seinen Lauf.

Es geht nicht darum die Geschichte nachzuerzählen, das Buch kann jeder, wer will selbst lesen. In einem Roman finde ich meistens zweierlei, er kann mir eine fremde Welt erschließen und zum Anderen kann es Berührungspunkte zu meinem eigenen Leben, Erfahrungen oder Gedankengut geben. Beim Lesen eines Buches interessiert mich immer, wo kann ich mit meiner Lebensgeschichte an die Romanfigur, die Romanhandlung andocken. Dies ist für mich das Faszinierende, dies macht ein tolles Leseerlebnis aus. Im Klappentext vom Buch ist zu lesen, dass es für die Romanfigur einen Fall in einem Tiroler Dorf gegeben hat. Beim Protagonisten Jakob handelt es sich um einen Autisten. Aus meiner Sicht hätte es eine solche Zuordnung nicht gebraucht, die Beschreibung des Anderseins ohne Zuordnung hätte für den Leser mehr Möglichkeiten offengelassen. Was sagt das Wort Autismus, auch hier gibt es eine Bandbreite von bis, wie bei jeder Krankheit.

Autonom

corona:morgen

Meine beste Lesezeit ist am frühen Morgen nach dem Aufstehen. Noch ist es um mich und in mir ganz still. Mit einer Tasse Cappuccino sitze ich im Wohnzimmer, schalte einen Radiosender mit klassischer Musik ein und beginne in einem Buch, je nach Auswahl zu lesen. Zumeist ist es die Wohnungskatze Sissi, welche mir dabei Gesellschaft leistet. Die Tageszeitung bleibt vor der Wohnungstür liegen und wird erst am fortgeschrittenen Vormittag geholt. Keinesfalls will ich mir von den zumeist alarmierenden Titelgeschichten den schönen Teil des Tages zu Nichte machen lassen. Besonders, seitdem das Coronavirus Österreich lahmlegt.

Den Drang zum frühen Aufstehen verspüre ich auch nach zehn Pensionsjahren noch. In meiner Zeit als Selbstständiger war es selbstverständlich um etwa sechs Uhr morgens aufzustehen. Während des Schuljahres öffnete das Papiergeschäft um sieben Uhr, rechtzeitig vor Schulbeginn. Zeitweise noch etwas verschlafen war ich sofort hellwach, wenn die Schulkinder mit den Schulbussen ankamen und schüppelweise in das Geschäft stürmten. Die frühe Öffnungszeit war beliebt, da wir neben Schulartikel ein kleines, aber spezielles Angebot an Süßwaren führten, sowie eine reiche Auswahl an Jugendzeitschriften, allen voran das Bravo. In den neunziger Jahren dazugekommen sind Zeitschriften mit Computerspielen. Es war ein Muss am Freitag das druckfrische Bravo am Verkaufspult bereit zu halten, zwanzig Stück wechselten schnell die Besitzerin. Immer gefragt waren die aktuellen Paninni Stickers, einerlei ob TV-Serien oder Sportevents. Mit Anfang der Jahrtausendwende gab es einen Knick bei den Kindern vor der Schule, weil der Sparmarkt neben der Bushaltestelle auch um sieben Uhr geöffnet und Kinder- und Jugendzeitschriften in sein Sortiment aufgenommen hat

Konkurrenz

corona:zeitung

Die Tageszeitungen versuchen ihre Abonnenten und Leser Marketing gerecht zu einer Leserfamilie zusammenzuschweißen. Eine beliebte Art mit den Lesern engen Kontakt zu pflegen waren bis vor einem Jahr die Leserreisen. Dieses Jahr sind sie Corona bedingt nicht möglich. Damit sind die Möglichkeiten nicht ausgeschöpft, jede Zeitung hat ihren virtuellen Shop und die Regionalzeitungen bieten die diversen Artikel auch in ihren Regionalbüros an. Beliebt ist die Herausgabe von Sammelbänden, erstmals erscheinen die Berichte als Serie in der Zeitung und dann als Buch. Einige Beispiele: „Peter Turrini im Gespräch“, „Der zweite Weltkrieg“, um die Jahreswende darf im Angebot ein Set mit verschiedenen Mondkalendern nicht fehlen. In den Zeitungsshops gibt es neben der Hirnnahrung auch Körpernahrung, von der Geschenkbox mit Edelbränden bis zum Räucherkästchen.

Beim Abholen der Shop Artikeln im Regionalbüro kann man auch Leserwünsche deponieren. Mein letzter Wunsch war, ob es möglich ist auf der Titelseite wieder einmal einen positiven Aufmacher, der das Herz und das Gemüt erfreut, zu bringen. Dies war auch mein Wunsch an das Christkind, den man hier deponieren kann. Anderseits glaube ich, dass wir sehr Corona fixiert sind und keine anderen Missstände wahrnehmen. Ich will nicht Tote mit Toten aufrechnen, in den sozialen Medien stoßt man oftmals auf solche Hinweise. Täglich sterben soundso viele Tausende Kinder an Hunger oder Menschen an Kriegsfolgen. Teilweise auch an mangelnder medizinischer Versorgung. Dagegen sind unsere Voraussetzungen um die Pandemie zu bewältigen ein Unterschied wie zwischen Hölle und Himmel. Bei der Wahrnehmung der realen und unsichtbaren Gefahren des Coronavirus spielt auch eine Rolle, wie stark man die Meldungen aus den Medien wahrnimmt.  Bis in den späten Vormittag vermeide ich die Tageszeitung aus dem Postkasten zu holen, damit ich mir nicht die ersten Stunden des Tages vermiese.

corona:kultur

Noch hoffen welche, dass die Coronakrise eine Trendwende zu Nachhaltigkeit und Qualität in vielen Bereichen führen wird. Kann dies auch für den Kulturbereich gelten? Bei einer Diskussion, was ist Kultur und muss diese gefördert werden, wurde schnell die Frage gestellt, braucht es überhaupt Kultur in Pandemiezeiten? Einigen ist es nicht aufgefallen, dass es plötzlich keine öffentlichen Lesungen, Konzerte, Ausstellungen und Theater gibt. Meine existenzielle Frage war, seit wann gibt es den Kunst- und Kulturbegriff, wie wir in heute verwenden? Wir erkennen heute in den Höhlenmalereien der Urzeit oder im frühen Ackerbau eine menschliche Kulturleistung. Schlag nach bei Wikipedia, dort ist zu lesen, dass alles, was der Mensch gestaltet als Kultur bezeichnet werden kann. Im deutschen Sprachraum wird seit dem 17. Jahrhundert sowohl für das Essen als auch für die Bodenbewirtschaftung, sowie für geistige Tätigkeiten der Kulturbegriff verwendet.

Vor zwei Monaten waren Gemeinde- und Landtagswahlen in Wien, dabei sind neun Parteien angetreten. Zumeist steht eine Partei für eine gesellschaftliche Gruppe oder Bewegung. Heute noch bewertet man die SPÖ als Arbeiterpartei, die ÖVP als Bauernpartei, die FPÖ als Heimatpartei und die Grünen als Umweltpartei. Kandidiert hat eine Bierpartei, der Gerstensaft aus Hopfen und Malz hat es zu einer eigenen Partei gebracht! Noch nie habe ich auf Wahlplakaten, in den Zeitungen und am Stimmzettel einen Hinweis auf eine Kultur- oder Kunstpartei gefunden. Im Laufe der Jahrzehnte habe ich schon einige Kreuzerl gemacht. Den Kultur- und Kunstschaffenden rufe ich zu, wehrt euch und gründet eine Kulturpartei.

Alles Kultur

corona:literatur

Seit Ausbruch der Coronaepedemie erleben die Kulturschaffenden ein auf und ab. In den ersten Monaten der Pandemie ist wenig zur Kultur gesagt und für die Kulturschaffenden getan worden. Bis sie sich vehement zu Wort gemeldet haben. Offen ist für mich, ob ich als Blogliterat zu den Kulturschaffenden gehöre? Darf ich mich als Literat oder Schriftsteller bezeichnen, was macht einen Literaten aus? Genügt es hin und wieder einen literarischen Text zu verfassen und diesen in einer Literaturzeitschrift zu veröffentlichen, um als Schriftsteller anerkannt zu werden? Wer erstellt die Regeln was ein literarischer Text ist? In den sechziger Jahren gab es die legendäre Wiener Gruppe. Dort sind einzelne Mitglieder so weit gegangen, dass sie von sich behauptet haben ein Poet zu sein, obwohl sie noch keine Zeile veröffentlicht hatten. Im extremen Fall nichts geschrieben haben, sondern nur ein poetisches Leben führten.

In der vor digitalen Ära bestand die Möglichkeit Texte in den Wochenendausgaben der Tageszeitungen und in Zeitschriften mit Literaturteil zu publizieren. Erinnern kann ich mich an die Volkszeitung und an das Neue Forum. Dazu gab es eine größere Zahl von Literaturzeitschriften. Regionale Zeitschriften in Kärnten, wie das Blaue Band, Unke oder Schreibarbeiten und überregionale Zeitschriften, wie die Manuskripte, Sterz,  Wespennest und das Pult. Es wurde viel publiziert, aber wie viele Käufer hatten die Literaturzeitschriften? Bei den regionalen Zeitschriften wurden damals die Texte auf Wachsmatrizen geschrieben und händisch vervielfältigt, mit einer Auflage von hundert Stück. Der überwiegende Teil der Journale wurde von Personen gekauft welche selbst getextet, sich schulisch und wissenschaftlich mit Literatur beschäftigt haben.

Studienbibliothek