corona:schütt

Vor der Ortschaft Oberschütt sitze ich im Niemandsland, am Waldesrand, auf einer Bank. Vor mir breitet sich eine große Wiese, mit unterschiedlichem Graswuchs, aus. Seitlich ist ein Acker, wo die Maispflanzen sprießen. Hundert Meter weiter befindet sich der Bauernhof zudem diese Wiese gehört. In meiner Erinnerung, wenn ich hier eine Pause eingelegt habe, die Herbstzeit. Der Acker abgeerntet, die Wiesen gemäht. Jetzt weiden zehn bis zwölf Rinder auf der Wiese, darunter zwei oder drei Jungtiere. Die Beharrlichkeit mit der die Kühe ein Grasbüschel nach dem anderem mit ihrer rauen Zunge einfangen. Nichts wird beschleunigt oder gebremst. Inmitten der weidenden Kühe gibt es welche, die zum Wiederkäuen am Boden liegen und vor sich hindösen. Hin und wieder lassen sie den Schweif auf die Flanken sausen, damit sich die Fliegen und die Bremsen aus dem Staub machen.

Nach der Fahrt mit dem Fahrrad, von Villach den Gail Radweg entlang, ist heute hier Endstation. Ohne auf die Uhr zu blicken, ohne Verpflichtung soundso viele Kilometer in die Pedale zu bringen, einfach nur da sein. So ruhig wie vor einigen Wochen, wo rigorose Corona Ausgangssperre herrschten, ist es nicht mehr. Von der Autobahn, die sich ihren Weg durch die Schütt gebahnt hat, kommt ein gleichbleibender Geräuschpegel. Noch hört man den Ruf des Kuckucks und einzelne Vogelstimmen ganz rein. Auf der Schütterstraße ist wieder reichlich Pkw Verkehr und die neue Freiheit heißt E-Bike fahren. Am Straßenrand bilden Blümchen mit gelben Blüten und zyklamen farbige Blumen dreieckige Inseln. Am blauen Himmel über Südkärnten zeigt sich noch immer kein Flugzeug, jeden Kondensstreifen würde man sofort erkennen. Es ist tröstlich wie sich die Umgebung mit den Monaten verändert. Vor, während und nach der Corona Krise, der Kreislauf der Natur bleibt derselbe.

covid-19/34

corona:schlosspark

Die Mittagspause während meiner Ausbildung zum Papier- und Buchhändler verbrachte ich zum Großteil im Schlosspark in Spittal/Drau. Sobald die Mittagstemperaturen für einen Aufenthalt im Freien erträglich waren, trudelten Lehrlinge aus den verschiedenen Geschäften und verschiedenen Branchen im Schlosspark ein. Der war vom Frühjahr bis in den Spätherbst unser Wohnzimmer. Jeder hatte seine Jause dabei und ich versorgte die Clique mit Zeitschriften, welche ich mir über die Mittagspause vom Buchladen mitnehmen durfte. Ganz verschämt die Quick und die Neue Revue, in beiden Zeitschriften berichtete Oswald Kolle, Ende der 60er Jahre über das Liebesleben von Frau und Mann. Die Jugendzeitschrift Bravo war auch beliebt, sie berichtete über Popstars und Dr. Sommer gewährte Hilfe bei Liebeskummer und Liebesproblemen. Meine Mittagslektüre war um eine Facette reicher, mich interessierte auch der gesellschaftliche und politische Umbruch in diesem Jahrzehnt. Zu meiner Auswahl zählte Der Spiegel, Twen, Konkret und Das Neue Forum.

Im Frühsommer führte eine Radtour von mir nach Spittal/Drau und in den Schlosspark. Die Dimension des Springbrunnens hat sich auch nach fünfzig Jahren nicht verändert und wird von einem bunten Blumenkranz eingerahmt. Es waren die ersten zaghaften Versuche der Bewohner nach der Coronasperre wieder ein Café zu besuchen, einen Cappuccino und eine Schlosstorte zu genießen. Ob sich heute noch immer Cliquen beim Schlossteich treffen? Verstohlene Blicke beim Lesen der Illustrierten vor den Erwachsenen wird es nicht mehr geben, das Schamgefühl liegt heute bei den älteren Parkbesucher. Jugendliche, welche Illustrierte durchblättern werden die Ausnahme sein. Wahrscheinlicher ist, dass jeder in einer Gruppe sein Smartphone in der Hand hat und sich durch die Mittagspause wischt und tippt.

covid-19/33

corona:stadtpark

Im Alter fällt es oft schwer einfach in den Stadtpark zu gehen, sich auf einer Bank niederzulassen und vom Frühjahr bis in den Herbst die blühenden Blumen und Sträucher zu genießen. Während des Corona Lockdowns war die Rede davon, es braucht einen Balkon oder Garten, um gesund darüber hinwegzukommen. Außer Acht gelassen wird, auch davor und danach, dass es in der Draustadt viele öffentliche Plätze gibt, wo man Naturschauen kann. Gerade die Senioren sollten sich diese Öffentlichkeit gönnen, manche schämen sich aber seinen Müßiggang öffentlich zu zeigen. In den gepflegten Parks wird uns, den Älteren, die Arbeit eines eigenen Gartens abgenommen und trotzdem kann man dort am Wachsen und Gedeihen teilnehmen. Die Kärntner werden gerne, ob der Lebensfreude, als die Italiener Österreichs bezeichnet. Nach meinen Beobachtungen bezieht sich diese Feststellung auf die Jungen und ohne Diskriminierung auf die sogenannten Ausländer, zumeist aus dem Süden zugezogen. Für die Südländer gehört es zu ihrer Lebensart, erlauben es die Temperaturen, jede Stunde im Freien zu verbringen. In den öffentlichen Parks sieht man viele Zuwandererkinder, mit und ohne Eltern. Zu ihrem Alltag gehört der öffentliche Platz dazu.

In nostalgischer Erinnerung schwärmen wir vom Urlaub im Süden, wo sich vieles vom Leben auf den öffentlichen Plätzen abspielte, an dem wir gerne, animiert durch die Urlaubsfreude, teilgenommen haben. Daheim angekommen ziehen wir uns in die eigenen vier Wände oder auf den Balkon zurück. Im Alter mangelt es manchmal am italienischen Temperament. Die Parkbänke erhalten oft einen schalen Beigeschmack, schnell denken wir dabei an Stadtstreicher oder Sandler und dazu gehen wir zumeist auf Abstand. Ein Meter Abstand ist das Modewort während der Corona Pandemie gewesen. Sozialdistanz, dabei bleibt mir der Arm, den ich dem Gegenüber ausstrecken will, auf halber Höhe stecken und sinkt dann wieder zurück. Im Alter mangelt es manchmal am italienischen Temperament.

covid-19/32

corona:party

Im Dschungel vieler guter Ratschläge bleibt die zentrale Erkenntnis, dass der Mensch sehr vergesslich ist, unberücksichtigt.  Wer zu sich ehrlich ist, erinnert sich bestimmt an eine kritische Lebenssituation, wo er gute Vorsätze für danach gefasst hat. Als die Gefahr vorüber war, wurden die guten Vorsätze schnell vergessen.

Ich wundere mich über die vielen Aussagen der Weltverbesserer, welche jetzt Hochkonjunktur haben. Sie erwarten eine geläuterte Menschheit, wenn die Coronavirus Pandemie vorbei sein wird. Eine Staatengemeinschaft die sich in zukünftigen Notzeiten gegenseitig unterstützt, eine Bevölkerung welche sich massiv dem Umweltschutz verschreibt und viele Menschen die ihren Alltag Entschleunigen werden. Die momentane Krisensituation bedingt ein klimafreundliches Verhalten und eine Zwangs- entschleunigung des Alltags. Wer etwas gegen die Erderwärmung beitragen und seinen Alltag entschleunigen will, der braucht keine Pandemie, sondern macht dies freiwillig. Eine gewisse Ähnlichkeit haben die Appelle der Weltverbesserer mit früheren Argumenten der christlichen Kirchen. Damals wurden Seuchen und Naturkatastrophen zur Strafe Gottes für das sündige Verhalten der Gläubigen erklärt und zu Umkehr und Buße aufgerufen.

Ich erinnere mich noch genau an das Erdbeben in Friaul im Mai 1976, welches wir in Südkärnten stark gespürt haben. Nach dem ersten Schock und der Betroffenheit über tausend Tote in Friaul waren an den darauffolgenden Wochenenden die Gasthäuser und die Tanzlokale in Kärnten gerammelt voll. Jeder versuchte vom Leben etwas zu erhaschen, bevor es zu spät sein könnte. Genauso wird die Weltenparty weitergehen, wenn die Corona Pandemie vorbei sein wird.

covid-19/31

corona:segen

Den Senioren wurde in den ersten Wochen der Coronakrise vom persönlichen Einkaufen abgeraten, es wurde empfohlen das Service der Gemeinde oder Nachbarschaftshilfe in Anspruch zu nehmen. Damit wurde ein Vergnügen des Alters gestrichen, soweit als möglich die nötigen Lebensmittel im Supermarkt selbst zu besorgen. Heikel wurde es, wenn es bei der Nachbarschaftshilfe darum gegangen ist, für die Wohnungskatze oder das Meerschweinchen Futter zu besorgen. Die Auswahl der Tiernahrung hat beim Einkaufen die höhere Priorität als die der Nahrungsmittel. Eingestellt wurde auch das Gedächtnistraining für Senioren, der fixe Termin bei der Fußpflege abgesagt. Für Rentner sind dies Termine mit Bedeutung, welche von der arbeitenden Bevölkerung im Vorübergehen erledigt werden. Für Senioren sind es Stützen ihres sozialen Umfeldes und tragen zu ihren menschlichen Kontakten bei. Zuhause Fernsehen und Zeitunglesen geht immer, neuerdings die teilweise von den Senioren geschmähte Technik am Smartphone. In den ersten Tagen der Krise wurde schnell die WhatsApp installiert, um so den Kontakt zu den Kindern und Enkelkinder fortzuführen. Ich konnte mitverfolgen, wie viel Zugespieltes weitergeleitet wurde, der persönliche Alltag war bei den Posts nicht so präsent. Die Comics zu den Hamsterkäufen beim Klopapier haben inzwischen Kultstatus. Zumeist endeten die Telefongespräche mit dem Wunsch, dass man sich bald beim Gymnastikklub, beim Spielenachmittag sehen möchte. In der Anfangszeit der Pandemie dachte man an einen Zeitraum von einem Monat oder kürzer.

Es ist wahrscheinlich, dass abseits des allgemeinen Stimmungsbildes für manche die stille Zeit des Corona Lockdown ein Segen war. In diesem Jahr können die Monate März und April als die stille Zeit genannt werden, bestimmt nicht die kommende Stille Zeit, die Advent- und Weihnachtszeit. Diese wird sich von der Hektik der vergangenen Jahre nicht unterscheiden, wie es viele erwarten. Als die Stille Zeit wird man die acht Wochen des österreichischen Lockdowns bezeichnen. Es war so ruhig auf den Straßen und in der Luft. Ich hatte das Gefühl, es waren dieses Frühjahr dreimal so viele Singvögel in den umliegenden Gärten als an anderen Jahren. Umso vieles lauter und intensiver haben die Vögel gesungen. Etwas von der verordneten stillen Zeit des Frühjahrs, wünsche ich mir für die kommende Adventszeit.

covid – 19/30