spät:herbst II

Auf der gegenüberliegenden Talseite von Maria Saal erblicke ich auf einer Anhöhe, im diesigen Licht, das Schloss Tanzenberg. In keinem der vielen Fenster, die so zahlreich wie die Tage des Jahres sein sollen, ist ein Licht zu sehen.  Es verschwindet immer mehr hinter den wuchernden Bäumen und Sträuchern rundum. Wie bei Dornröschen wartet das Schloss auf einen Prinzen, welcher die Dornenhecken durchtrennt. Vor einigen Jahren wurde das bischöfliche Knabenseminar aufgelöst und jetzt träumt die Anlage vor sich hin. Zu seinen Füßen habe ich in den Tag hinein geträumt, ich als Missionar im tiefsten Dschungel von Afrika. Eingeschlossen im Urwald, bedroht von hochgiftigen Schlangen und angriffslustigen Leoparden und hinterhältigen Negern. Beim nächsten Schritt könnte ich in eine Falle tappen und mit einer Schlinge am Fuß kopfüber von einem Baum baumeln. Dann doch lieber mit einer Schulfreundin einen Bauernhof bewirtschaften. Wer ist der Prinz, der das Schloss Tanzenberg wachküssen wird?

Mit Beginn des Murtales rücken die Wälder näher an die Bahnstrecke, ein sanftes Licht bringt die verfärbten Nadelbäume zum Leuchten. Rechts und links tauchen hin und wieder landwirtschaftliche Gebäude und allein stehende Weiler auf. Auf den leicht geneigten Hängen weiden Kühe und Schafe völlig unbeaufsichtigt. Später reiht sich ein Sonnenkollektorfeld  an das andere, so werden die Felder nach Strom abgegrast. Statt Schafwolle für warme Kleidung und Decken gibt es Strom für die Heizung. Hier wird organische Wärme durch technische Wärme ersetzt.

Die meisten Mitreisenden bleiben von den unverhofften Ausblicken unberührt. Je länger die Zugreise dauert, umso intensiver wird der Blick auf das Smartphone. So, als müsste der Bildschirm entlaubt werden, um mehr von der digitalen Welt zu sehen.

Laubbäume

spät:herbst

Berufstätige und Schüler welche täglich mit dem Zug pendeln verlieren mit der Zeit den Blick auf die vorbeihuschende Landschaft. Wechseln die Jahreszeiten, verändert sich zumeist auch die Landschaft, dies erregt kaum noch Aufmerksamkeit, oder doch? Es ist so, als sitzen wir zu Hause im Wohnzimmer und nehmen es nicht wahr, wenn die Frau im Wohnzimmer die Dekoration verändert. Am ehesten noch zu Ostern und Weihnachten. Häuser, Gehöfte, Kirchen und Ortschaften, welche über den Sommer hinter belaubten Bäumen und Büschen verborgen sind, werden im Spätherbst sichtbar.

Bei einer Bahnfahrt an einem Spätherbsttag kann ich am meisten entdecken. Im gedämpften Sonnenlicht erscheint die Landschaft friedlicher, die meisten Felder sind abgeerntet, die Wiesen noch immer im satten Grün. Die Äcker wurden teilweise neu bestellt, nichts deutet auf den nahenden Winter hin, auf Kälte und Schnee, die immer später eintreffen. Meinem Gefühl nach hat sich im letzten Jahrzehnt die Herbstzeit um einen Monat verlängert. Die Bahnstrecke von Villach nach Friesach, durch den Kärntner Zentralraum, hat eine eigentümliche Faszination. Ein großes Stück führt die Bahnlinie den Wörthersee entlang. Zumeist ist die Wasseroberfläche ruhig, der See ist wieder ein See, abseits seiner wirtschaftlichen Pfründe. Es wird nicht vermessen, nicht gerechnet, wie viel Umsatz und Profit zehn Meter Ufer erwirtschaften. Der See ist frei von schaukelnden Schiffen, Wasserakrobaten, Schnellboten und Holiday Stimmung am Ufer.

Die entlaubten Büsche gestatten einen Blick auf die sommersüber versteckten Herrschaftsvillen. Plötzlich sind die Villen die Nackedeis, wie sie sonst in der Sommersaison auf den Badestegen liegen. Vielfach besteht die Meinung, dass für die Bahnfahrer die Landschaft eine untergeordnete Rolle spielt, ihnen geht es um die schnellste Bahnverbindung. Die Wünsche gehen in Richtung Hochgeschwindigkeitsstrecken, wie man sie in Deutschland für den IC angelegt hat. Dort geht die große Faszination von der Anzeigetafel im Waggon aus, wo die erreichte Geschwindigkeit angezeigt wird. Spannend wird es, wenn die Geschwindigkeit über die 300 km/h Marke klettert. In dem Moment lösen die Bahnreisenden die Augen von den Smartphone und den Tabletts für einen kurzen Augenblick. Die Wahrnehmung der Landschaft erübrigt sich, weil vielerorts die Lärmschutzwälle die Sicht einschränken. Wenn überhaupt etwas zu sehen ist, sind es die turmhohen Reklame Säulen der Einkaufszentren und die Spitzen der Glockentürme.

Hoch hinaus

bus:reise II

Ein Gesprächsstoff zwischen Landsleuten auf der Uferpromenade ist die Frage, in welchem Hotel sind sie untergebracht ? Wie ist die Zimmerausstattung und die Speisenauswahl beim abendlichen Buffet. Darüber lässt sich gut raunzen und zumeist empfindet man, dass das nächste Hotel das Bessere gewesen wäre. Wie beim Buffet, trotz des Überflusses  glaubt man, dass der Tischnachbar die bessere Auswahl getroffen hat.

In Österreich hat es keine Seniorengeneration gegeben, der es so gut geht wie jetzt. Trotzdem hadern viele im fortgeschrittenen Alter, dass sie noch immer so vernünftig und pflichtbewusst sind. Zuerst wird an die Arbeit, wie die Instandhaltung des Kellers und an die Pflege des Gartens gedacht, erst dann an die  Entspannung. An das süße Leben, wie ein Buch zu lesen, an einen Kinobesuch, einen Cappucino zu trinken oder an eine Wanderung rund um den Falkertsee. Bei manchen Rentnerehepaaren übernehmen die Männer in der Pension die Arbeit im Gemüse- und Obstgarten. Verreisen ist dann möglich, wenn es die Arbeit im Garten zulässt. Wer übernimmt für die Zeit der Abwesenheit das Gießen vom Gemüse und der Blumen ? Die Schwiegersöhne und -töchter wollen von der Gartenarbeit nichts wissen, sie lassen sich gerne mit frischem Gemüse versorgen.

Beim Spaziergang durch die schmalen Altstadtgassen von Rovinj stolpere ich förmlich von einer Wechselstube zur anderen, zumeist werden dort noch zusätzlich Souvenir angeboten. An den stark frequentierten Plätzen dominieren die Kreditinstitute mit Marmorfassaden. Um alle Geldsorgen aus dem Weg zu räumen findet man bei jedem fünften Haus in der Innenstadt einen Bankomat. Oftmals ist der Bankomat in das Schaufenster eines Geschäftes oder in eine Hauseingangstüre integriert. Diese Besonderheiten sind für mich eine Einladung, um mit dem Smartphone einige Schnappschüsse zu machen. Kroatien ist seit sechs Jahren EU-Mitglied, hat aber noch seine eigene Währung, den Kuna.

bus:reise

Busreisen sind Kontaktbörsen von der feinen Art . Bei einem bunt zusammengewürfelten Haufen ergeben sich in den Pausen und bei den gemeinsamen Mahlzeiten im Hotel vielerlei Vernetzungen. Man hat es mit unterschiedlichen Reisenden zu tun, manche sind auf ihre Zweierbeziehung fixiert, andere Paare suchen das Gespräch mit den anderen Teilnehmern. Zwar nicht generell, aber ich beobachte, dass Seniorenehepaare nicht mehr so egozentriert sind und gerne den Austausch mit anderen suchen. Dazu gesellen sich ältere Damen, diese versuchen bei Mitreisenden anzudocken, weil sie die Unterhaltung suchen. Oftmals sind  sie verwitwet und verreisen, um sich in der Gruppe auszutauschen. Bei den jetzigen Senioren war der Mann bei der Eheschließung zumeist älter war als die Frau. Da die Männer generell eine kürze Lebenserwartung haben als die Frauen, gibt es eine beachtliche Zahl Alleinreisender Pensionistinnen. Zu den Anknüpfungspunkten beim Abendbuffett gehört die Frage, woher man kommt und was war die letzte Reise.

Bei einem Aufenthalt in Rovinj lernten wir im Hotel eine rüstige, ältere Dame kennen, die von erstaunlichen Reiseerlebnissen erzählte. Die Dame konnte sich an ihre Fahrten in das ehemalige Jugoslawien erinnern. Dies war in den 60er und 70er Jahren eine beliebte Reisedestination der Kärntner und Steirer. Wem Oberitalien zu teuer und zu überlaufen war, wich nach Jugoslawien aus. Der Komfort und das Service in den Unterkünften ließen zu jener Zeit zu wünschen übrig. Das Hotelpersonal war nicht besonders zuvorkommend. Nach Ostblockdevise was bringts  wenn ich engagiert bin, es gibt immer denselben Lohn. Den Kaffee hat die Dame zu Titoszeiten von daheim mitgenommen, weil der Jugo-Kaffee schmeckte ihr nicht. Bei einer Rundreise durch Rumänien, Ceausescu war noch an der Macht, gab es in den Restaurants bei einem Fischgericht nur ein hauchdünnes Rädchen Zitrone.

Erinnerung

foto:stopp

Hastig verläuft der Fotostopp bei den Bustouristen aus Fernost, ihnen stehen maximal zehn Minuten zur Verfügung. Vor zwei Monaten habe ich dies bei einer Stadtrundfahrt in Budapest, vor dem Parlamentsgebäude, beobachtet. Die noch kürzere Variante ist, dass der Busfahrer im Schritttempo an einer Sehenswürdigkeit vorbeifährt. Wer will kann sein Foto vom Bus aus machen. Für ein paar Minuten verlagert sich das gesamte Gewicht im Inneren des Busses auf eine Fensterseite. Befindet sich die Sehenswürdigkeit in der Nähe eines Kreisverkehrs, so besteht die Möglichkeit den Kreisverkehr zwei oder dreimal zu umrunden, bevor man ihn verlässt.Unlängst in Budapest erlebt, um einen zweiten und dritten Blick auf die Kettenbrücke zu werfen.

Bereits seit Jahrzehnten haben die Kartografen der Marko Polo Straßenkarten besondere Aussichtspunkte eigens markiert, damit die Touristen hier anhalten. Die schöne Landschaft genießen und die Seele baumeln lassen. Heute entwickeln sich diese Aussichtspunkte zu sogenannten Fotostopp. Zumeist handelt es sich um exponierte Stellen und die Parkmöglichkeit für Reisebusse ist beschränkt. So bleibt für jede Reisegruppe nur ein Minimum an Zeit, weil die nächsten Busse nähern sich schon dem Aussichtspunkt.

Beim Egger Marterl ist es mit der Stille vorbei, es treffen immer wieder neue Gäste ein. Die eine und andere Familie muss mit den Fotos warten, bis die fremden Kinder aus dem  besten Motiv verschwunden sind. Eine sportliche Frau in einem gelben T-Shirt kommt auf ihrem Fahrrad, rechts und links eine gelbe Fahrradtasche, beim Marterl an. Einen Moment glaube ich, dass es unsere Postbotin ist, um mir einen Expressbrief zuzustellen. „Nein, sie hat keine Post für mich“, antwortet sie auf meine Frage. „Sie sei keine Postlerin, wenn dies auch der erste Eindruck vermuten lässt“.

Verwechslung