große:heft I

Wir werden derzeit überschwemmt mit Berichten von den Gräueltaten aus der Ukraine, dem Irak und Syrien. Es gibt schockierende Bilder von dem  brutalen Vorgehen der IS Kämpfer die sich rühmen, alle, die sich ihrem Traum von einem islamischen Staat in den Weg stellen, zu vernichten. Zur Abschreckung werden demonstrativ Ausländer und Journalisten enthauptet und davon ein Video im Web gezeigt. In uns Mitteleuropäern rumort es, wir können es nicht nachvollziehen, wie man gegenüber den Mitmenschen so brutal sein kann. Bei vielen verursacht es Kopfschütteln, dass sich viele junge Leute aus dem Westen diesen Kampfbrigaden freiwillig zuwenden.

Bei uns wird von den Politikern versprochen, dass die Jugend eine gute Ausbildung bekommt. Ein vorrangiges Ziel für das neue Jahr ist es, in den EU-Staaten die Jugendarbeitslosigkeit zu senken. Faktum ist, dass auch gut ausgebildete Jugendliche keine Arbeit finden, dass Uni-Absolventen nur Zeit- und Projektverträge bekommen. Wie soll es möglich sein, dass die Menschen länger im Arbeitsleben bleiben und gleichzeitig die nachrückende junge Generation eine Arbeitsstelle bekommt? Wir haben es in Mitteleuropa mit einer schleichenden Arbeitsplätzeinflation zu tun. Die arbeitsintensiven Produkte wurden schon lange nach Südostasien ausgelagert. Auch beim  Pflege- und Dienstleistungspersonal werden verstärkt ausländische Arbeiterinnen eingesetzt.

Im großen Heft  wird beschrieben wie Zwillinge, die bei ihrer Großmutter in Pflege sind sich abhärten, damit  sie niemand demütigen kann und ihre eigene Gerichtsbarkeit erschaffen. Sie entscheiden wer und was in ihrer Umgebung gut und böse ist. Dabei zeigen sie Herz für Benachteiligte, die von den Dorfbewohnern verstoßen werden. Durch ihre Selbstkasteiung haben sie vor niemanden und nichts Angst. Für ihre Weiterbildung  lesen sie zwei Bücher, die Bibel und  das Wörterbuch der Besatzer. Sie führen in dieser Krisenzeit einen Überlebenskampf, egal ob es um die Besorgung von Schreibzeug oder um ihr Essen geht. Sie werden gleichgültig gegenüber dem Tod. Den einen schicken sie in den Tod, dem anderen helfen sie beim Überleben. Sie erzählen anderen nichts, sie behalten alles für sich und schreiben es in das große Heft

Agota KRISTOFs Buch, Das große Heft, Piper Verlag,  ist ein kleines kompaktes Buch von 9×15 cm.

mein:pony ll

Die Schulanfänger warten mit den Eltern im Schulhof, sie werden von hier den Klassen  zugeteilt. In der Eingangshalle  versammeln sich die übrigen Schüler und die Lehrer versuchen Ordnung in das Durcheinander zu bringen. Sie schicken uns klassenweise in die Schulräume. Ich bin aufgeregt, meine Mitschüler und mich erwartet eine Überraschung, wir bekommen eine neue Klassenlehrerin. Unsere Lehrerin, der ersten und der zweiten Schulstufe, wird wieder die erste Klasse unterrichten. Sie war zu uns fürsorglich wie eine Tante. Mit viel Geduld hat sie uns das Lesen und das Rechnen beigebracht, sie war nie böse. Unser Schulzimmer befindet  sich im Obergeschoß. Im Klassenraum raufen mehrere Buben miteinander, andere rutschen mit den Hausschuhen die Fensterreihe entlang. Einige Kinder streiten darüber, wer bei wem sitzen darf. Die Meisten von uns wählen den Sitznachbarn, die Sitznachbarin,  aus der zweiten Klasse. Ich setze mich zu meiner Freundin Ingrid, sie lebt am Bauernhof über uns, vulgo „Kircher“. Vom Gang höre ich noch Gemurmel und die Stimme von einem Lehrer, der die Kinder auffordert nicht zu laufen und in die Unterrichtsräume zu gehen. Der Schulgong ertönt  und es wird ruhig auf dem Gang. In der Klasse hat jeder seinen Sitzplatz ausgewählt, vereinzelt wird noch getuschelt. Gespannt warte ich auf die Lehrerin, die jung sein soll und aus einem anderen Tal neu an unsere Schule kommt.

Nach einer kurzen Zeit öffnet sich die Klassentür und unsere neue Lehrerin kommt herein. Wir stehen auf und sagen laut: „Grüß Gott“. Erwartungsvoll blicke ich in ihr Gesicht, welches von blonden Haaren  umrahmt ist. Sie hat ein hellblaues Kostüm und eine weiße Bluse an und nickt uns freundlich zu. Jetzt steht auch der Herr Direktor in der Klasse und deutet mit einer Geste auf die Lehrerin: „Fräulein Clara, sie ist eure neue Lehrerin. Ich erwarte, dass ihr brav und folgsam seid“. Der Direktor wendet  sich der Tür zu, das Fräulein fordert uns mit ihrer hellen und klaren Stimme auf: „ Kinder wir grüßen,  Auf Wiedersehen Herr Direktor“.  „Auf Wiedersehen Herr Direktor“, schallt  es aus unserem Mund. „Ihr könnt euch setzen“, ihre Stimme klingt ganz sanft, so als würde ein Engel zu uns sprechen. Sie steht vor der Tafel und  fordert uns auf, unseren Vornamen zu nennen. Dies geschieht ganz unterschiedlich, einige schämen sich ein wenig, andere kichern dabei, manche sagen ihren Vornamen laut und deutlich. Alle Namen schreibt sie der Reihe nach auf die Tafel. Ich kann meinen Blick nicht von ihren blonden Haaren und den blauen Augen abwenden. Sie hat eine  Ähnlichkeit  mit der Ankleidepuppe, die im dicken Katalog abgebildet ist, den uns der Briefträger in den Ferien gebracht hat. Die Mutter hat aus diesem Katalog für meinen Bruder und mich Kleider bestellt. Die Lehrerin erzählt uns vom Großglockner und von Heiligenblut, wo sie geboren wurde. Ich kann mir nicht vorstellen, dass am Großglockner immer Schnee und Eis liegt und auch im Sommer das Eis nicht schmilzt. In Heiligenblut wachsen auch keine Äpfel und Birnen, wie hier bei uns am Zollfeld. In den nächsten Wochen werden wir im Sachunterricht mehr von Heiligenblut und dem Großglockner lernen, sie wird uns auch einige Fotos zeigen. „Ich freue mich darauf, euch zu unterrichten“, sagt die Lehrerin. „Ich habe für jeden von euch ein kleines Geschenk.“ Einzeln gehen wir  zum Schreibpult hinaus und jeder bekommt einen bunten Notizblock. Ihre blauen Augen strahlen mich ganz vertrauensvoll an, als sie die roten Lippen öffnet, strahlen weiße Zähne hervor. In ihrer Nähe riecht es so gut, sie duftet nach Maiglöckchen.

mein:pony l

„Komm Lisa, komm, wo bleibst du so lange, schnell komm“, ruft meine Mama. Ich mache einen Blick durch das offene Küchenfenster und sehe auf der Wiese, in der Nähe vom Gatter, ein braunes Pony grasen. Schon lange habe ich mir ein Pony gewünscht und der Papa hat es mir für das gute Zeugnis versprochen. Im Hintergrund höre ich meinen Bruder lachen und plötzlich ist es weg. „Nein, nein“, rufe ich und beginne zu schluchzen. „Beruhige dich Lisa, es ist Zeit zum Aufstehen, du musst aufstehen, heute fängt wieder die Schule  an“. Plötzlich bin ich hellwach, die Mama steht im Zimmer, ich muss aufstehen. Bis zum letzten Ferientag habe ich auf das Pony gehofft, vielleicht hat es sich verlaufen? Ich wollte es pflegen, füttern und auf ihm reiten. Meine Freundinnen leben in größerer Entfernung von mir, am Bauernhof sind die Tiere meine besten Gefährten. Allen voran die schwarz-weiße Katze Dorli, sie hat ein weiches Fell, drei weiße und eine schwarze Pfote. Während ich die Hausaufgaben erledige schmiegt sie sich an meine Hüfte und beginnt zu schnurren. Andere Katzen pfauchen, wenn ich ihnen das Fell streicheln will. Der zottige Hofhund Benno folgt mir überallhin, in den Garten, auf das Feld und in den Stall. In das Haus darf er nur bis in das Vorgebäude, weil von ihm Stallgeruch ausströmt. Ist er beim Fressen oder döst er in der Nähe seines Futternapfes, dann mache ich einen weiten Bogen um ihn, wie die Hühner. Kommt eine unvorsichtige Henne in seine Nähe, so reagiert er unwirsch und mit einem Satz, den man ihm ob seines Alters nicht zutraut, verscheucht er sie. Manche Henne hat dabei schon einige Federn eingebüßt. Die Haustiere sind meine engsten Verbündeten und dann mein älterer Bruder. Habe ich ihn nicht im Traum schadenfroh lachen gehört? Er hat mich wegen meines Pferdewunsches immer gehänselt. Ein Pony für unsere „kleine feine  Dame“, wie ich vom älteren Bruder boshaft genannt werde. Die „kleine feine Dame“  ist ein Verweis auf seine Schulkameradinnen aus dem Dorf. Es sind Mädchen aus den Angestelltenfamilien, welche in hübschen Kleidern, schönen Schuhen und gepflegten Haaren mit ihm die Hauptschule besuchen. Meine  liebsten Freundinnen treffe ich in den Ferien nicht oft, deshalb  freue ich mich, dass die Schule beginnt, auch wenn sich der  Ponywunsch nicht erfüllt hat. Nach dem Waschen und Ankleiden kämmt mir die Mutter die Haare und flechtet zwei Zöpfe. Gemeinsam sitze ich mit dem Bruder am Küchentisch. Zum Frühstück bekommen wir Kakao und ein Honigbrot. Ich werde nicht mehr vor dem Bruder losgeschickt, im dritten Schuljahr kann ich genauso schnell gehen wie er. Mein Bruder schämt sich, wenn Buben aus seiner Klasse zu uns stoßen, für seine kleine Schwester. Von den Bubenstreichen bin ich ausgeschlossen, ich gelte als verweichlicht. Es verletzt ihren Bubenstolz, wenn sie sich mit einem Mädchen unterhalten. Vor dem Haus warten schon Kinder aus der Nachbarschaft, zu Fuß gehen wir eine halbe Stunde in die Schule.

Fortsetzung folgt…..

schul:zeit ll

Aus alter Gewohnheit stelle ich bei den philosophischen LVS an der Uni Fragen, nicht um vom Lehrinhalt abzulenken, sondern um einen besseren Praxisbezug herzustellen. Von der Philosophie und von der Religion erwarte ich eine ähnliche Wirkung. Es ergibt für mich keinen Sinn, sich in die Lehre der Bibel oder in die Philosophie zu vertiefen und diese Gesinnung nicht beim Umgang mit dem Nächsten spürbar werden zu lassen.

Aus meiner Schulzeit in Tanzenberg plagt mich immer noch die Angst, dass ich vergesse von den Schulutensilien etwas einzupacken. Manches Mal aus einem Traum aufwache, dass ich den Stundenplan verloren habe und mit den falschen Heften im Unterricht sitze. So  packe ich auch heute meine Unterlagen, einen Collegblock, Fachliteratur, Schreibzeug und Ersatzschreibzeug, am Abend vor der Lehrveranstaltung in meine Aktenmappe. Man möchte annehmen, dass das wirkliche Arbeitsgerät bei den Vorlesungen der Laptop ist und dafür habe ich mir ein extra leichtes Notebook zugelegt. Es überrascht mich immer wieder wie viele mit Kuli und Notizblock die Ausführungen festhalten. Wohl auch, weil die Professoren die Lehrfolien nach der Vorlesung im Moodle hochladen. Es kommt mir so vor, dass das Mitschreiben die Aufnahme vom Lehrinhalt fördert. Ich habe einen drei Stufenplan zum Lernen entwickelt. Von der Mitschrift der Vorlesung zuhause eine Reinschrift verfassen, dann von der Reinschrift eine Zusammenfassung und zu guter Letzt ein Stichwortblatt. So kann ich mir die wesentlichen Dinge gut einprägen. Es wird gerne behauptet, dass man sich Daten und Fakten im Alter nicht mehr so gut merken kann, dass dies in der Jugend leichter sei. Es soll das Kurzzeitgedächtnis nachlassen, das Langzeitgedächtnis ist beständiger. Dieser Beitrag könnte als Beispiel für das Langzeitgedächtnis stehen.

Gedächtnistraining

schul:zeit l

In diesem Monat beginnt in vielen EU- Ländern ein neues Schuljahr. Dabei werden in mir fröhliche und zähe Vorkommnisse geweckt. Gerne wird behauptet oder ist dies eine Schutzbehauptung, dass die Schulzeit zu den schönsten Jahren im Leben eines Erwachsenen gehört. Es gibt wohl niemanden, der sich nicht an quälende Schulstunden, besonders in den Hauptfächern Mathematik und Deutsch, bei mir war es Latein, erinnert. Wobei man für jede Abwechslung, welche die Schulstunde verkürzt oder unterbrochen hat, dankbar war. Es gab verschiedene Möglichkeiten, man beschäftigte sich mit etwas anderem, wie belanglose Strichmännchen zu zeichnen und dazu lustige Texte zu erfinden oder, dies war mit gewissen Risiken verbunden eine Karikatur vom Professor zu skizzieren und diese an einen Mitschüler, der vor einem saß, weiterzureichen. Die Schüler in den ersten Bankreihen konnten wenig oder gar nicht vom Unterricht abschweifen, da waren diejenigen, welche  in den mittleren oder hinteren Reihen saßen, besser dran. Bei allen Aktivitäten musste man zwischendurch einen Blick auf den Professor am Lehrerpult werfen um zu sehen, in welche Richtung er gerade schaute. Nebenbei war es leicht möglich, dass man aus der Reihe aufgerufen wurde, um einen  bzw. den nächsten Satz in das Lateinische zu übersetzen. Unser Lateinprofessor war ein Mensch mit einer gutmütigen Art und frisch im Lehramt. Er war frisch verheiratet und hatte sich in Klagenfurt sesshaft gemacht. Ein Mitschüler, mit Talent zum Bildhauer, hat ihm eine Madonna geschnitzt. Dieser lebt heute als freischaffender Künstler in Kärnten.

Der Professor war vor seinem Lehramt als Archäologe in Ägypten und Griechenland beschäftigt. Er war, neben seinem Sprachwissen, in  der lateinischen, griechischen und ägyptischen Geschichte bestens bewandert. Als Schüler hatten wir den Eindruck, dass er bildhafter, weil er vieles aus eigenem Erleben gekannt hat, über römische und griechische Geschichte erzählen konnte, als der Geschichtsprofessor. Zu unseren Tricks, die Lateinstunde zu unterbrechen gehörte es, lasen wir einen lateinischen Text mit geschichtlichem Hintergrund, eine dazu passende geschichtliche Frage zu stellen. Meistens ist er auf die Frage eingegangen und hat zum Erzählen begonnen, dass seine Wangen geglüht haben. Uns war wichtig, dass wir vom Lateinunterricht eine Auszeit hatten. Bis er sich selbst unterbrach und sagte, jetzt müssen wir aber beim Lehrstoff weitermachen. Im dritten Schuljahr wurde es schwieriger, eine Auszeit einzuleiten, er wusste bereits dass wir ihn auf das Glatteis führen wollten.

Schlittschuhfahren