spittal:drau II

Unsere Firma lieferte der Konditorei für den Verkauf die Tortenschachteln. Als Lehrling war es meine Aufgabe, unter Einbeziehung der Druckerei und Buchbinderei, welche von den Brüdern des Chefs betrieben wurden, diese Schachteln zu fertigen. Aus Karton wurden die Schachtel ausgestanzt, gerillt, gefalzt und der Deckel mit dem Firmenlogo der Konditorei bedruckt. Die vorgefalteten Kartons wurden von mir im Schuppen der Papierhandlung, an einer ausrangierten Heftmaschine, zusammengeheftet. Wöchentlich habe ich einen halben Tag lang Tortenschachteln geheftet. Der Schuppen diente auch als Sammellager für das Altpapier und ist vergleichbar mit einem Kellerabteil. An drei Seiten hatte er ein offenes Lattengerüst. An warmen Tagen war es eine willkommene Abwechslung und die Heftmaschine funktionierte klaglos. Für die kalte Jahreszeit gab es einen elektrischen Strahler, der ein wenig die Füße wärmte, keinesfalls den Schuppen. So bin ich mit Weste, Mütze und mit Mantel an der Heftmaschine gesessen und habe mit klammen Fingern die Kartons zusammengeheftet. Der Beginn war mühsam, er erforderte viel Geduld. Bei tiefen Temperaturen funktionierte die Heftmaschine nur im Zeitlupentempo. In den beweglichen Teilen musste das Öl erst warm werden.

Bei Bedarf wurden die Tortenschachteln vom Chef und mir, mit dem Opel Caravan in die Backstube der Konditorei am Spittaler Hauptplatz geliefert. War der Chef nicht vor Ort und die Konditorei hatte einen dringenden Bedarf musste ich, rechts und links fünf Kartons in der Hand, zu Fuß vom Bahnhof in die Stadt marschieren. Bei meinem letzten Besuch verabschiedete ich mich bei der Thekenfrau mit der Bemerkung, dass ich vor fünfzig Jahren für die Konditorei Tortenschachteln geheftet habe.

Kirschentorte

spittal:drau

Es ist Nostalgie, komme ich nach Spittal an der Drau und besuche das Renaissanceschloss Porcia, mit seinem prachtvollen Innenhof. Im Schlosspark gibt es einen groß dimensionierten Springbrunnen, der vom Frühjahr bis in den Herbst von einer Blumenpracht umgeben ist. Der Bereich um den Springbrunnen war für mich in der warmen Jahreszeit, während der Lehrjahre, der bevorzugte Aufenthaltsort in der Mittagspause. Meine Speckbrote, zwischendurch einmal ein Brot mit Tirolerwurst, eingewickelt in Zeitungspapier verspeiste ich zu Mittag auf einer Bank beim Springbrunnen. Am Rande vom Schlosspark befand sich ein kleiner Kiosk mit verschiedenen Süßigkeiten und anderen Verzehrartikeln. Dort kaufte ich mir ab und zu einen Gabelbissen mit Semmel, für mich ein Festmahl. Für einen Schilling bekam ich dort einen claus Schokoladeriegel, erhältlich in verschiedenen Geschmacksrichtungen.

In der Nähe befindet sich eine traditionsreiche Konditorei mit einem gepflegten Gastgarten und einer verlockenden Tortenauswahl. Nach Jahrzehnten habe ich dieses Cafe wieder einmal betreten. Im Lokal dürfte sich nur weniges geändert haben. Meine schmale Lehrlingsentschädigung erlaubte es dazumal nicht, während der Mittagszeit öfter ein Café aufzusuchen. Die Konditorei besuchte ich nur ab und zu, zumeist am  Berufschultag.

An feuchten und regnerischen Tagen im Herbst und an kalten Wintertagen fand ich Unterschlupf im Speisesaal vom Kolpinghaus. Für drei Schilling bekam ich dort eine Suppe und einen Sprudel. War noch genügend Essen vorhanden, schenkte mir der Präsens eine Hauptspeise. Um Porto zu sparen gab mir der Chef die Rechnungen mit, welche ich während der Mittagsstunde bei verschiedenen Firmen in der Stadt abgegeben habe.

Mittagsteller

morgen:stund II

Sinngemäß sagt Seneca: „Nicht die Länge des Lebens ist wichtig, sondern was man in den Jahren macht. Wir haben nicht zu wenig Zeit, sondern wir gehen mit der Zeit sorglos um“. Bummelt man am Hauptplatz an einer Boutique vorbei und es befindet sich keine Kundschaft im Laden, dann sieht man die Verkäuferin über das Smartphone gebeugt oder am PC im Internet surfen. Auf die Idee im Geschäft sauber zu machen  die Ordnung in den Regalen wiederherstellen, kommen die Wenigsten. Wer mit offenen Augen durch die Stadt geht und bei einer der zahlreichen Baustellen vorbeikommt, wird feststellen, gibt es eine kurze Arbeitsunterbrechung für den Baggerfahrer, wird dieser in seine Hosentasche greifen und das Handy zücken. Die Smartphones sind zu Zeiträubern und Arbeitsverweigern geworden. Anno dazumal hat man sich die Zeit mit dem zeitweisen Blättern in den Illustrierten und den Zeitungen vertrödelt.

Ich kann mich erinnern, es hat während meiner Ausbildungszeit in der Buchhandlung, Tage der sogenannten toten Zeit gegeben. Dies bedeutete, alles war aufgeräumt, nachgefüllt und abgestaubt, damit war wirklich Alles gemeint. So konnten wir uns, die Erste Verkäuferin und ich, erlauben in den aufliegenden Zeitschriften zu blättern. Dies war vom damaligen Arbeitsverständnis betrachtet, ein absolutes No Go. Vom Chef nicht toleriert. Der Chef, Herr Harald, ist an seinem Schreibtisch im Lager gesessen. Eingekeilt zwischen einer Regalwand, einer Stellage und dem Schreibtisch.  In der Stellage die Ordner von der Buchhaltung und Preislisten, am Schreibtisch ein kleiner Aufbau, voll mit diversen Bestellkarten, Firmenkuverts und Erlagscheinen. Neben ihm, so hoch wie der Schreibtisch, ein Stoß der neuesten Buchkataloge und die Ankündigungen von den Buchneuerscheinungen. In diesem Kosmos war er versunken. Um ein Zeichen unserer Betriebsamkeit abzugeben, haben wir zwischendurch die Zeitschriften auf das Verkaufspult geklatscht.

morgen:stund

Es gibt Ereignisse, von denen denkt man, diese dauern ewig, wie möglicherweise ein Besuch. Dies bedeutet nicht, dass der Besuch unerwünscht oder unangenehm ist. Es gibt einfach das Gefühl, obwohl erst einen Tag bei uns, er ist schon eine Woche hier. Könnte sein, dass es egal ist, ob er hier ist?  Am Besten Distanz bewahren, sich auf die Eigenheiten des Besuches nicht einlassen. Verändert sich mit dem Älterwerden die Zeitwahrnehmung? Plötzlich stellt man fest, wie wenig man täglich, außer an Ausnahmetagen, unternimmt. Oftmals bewundert man Bekannte, welche in der Pension bei vielen Vereinen mitwirken. Dazu haben sie privat eine große Familie, wo die Kinder samt Familie  unerwartet eintreffen. Die Enkel erwarten von ihnen für eine Woche freie Unterkunft mit Vollpension. Die superaktiven Pensionisten stehen um fünf Uhr früh auf und sind spätestens um sieben Uhr voll im Saft. Das Geheimnis für einen erfüllten Tag liegt in den Morgenstunden. Ein Sprichwort sagt: Der frühe Vogel fängt den Wurm.

In meiner Berufszeit habe ich die Erfahrung gemacht, dass die Vormittagsstunden die Produktivsten waren. Ich öffnete mein Schreibwarengeschäft in Arnoldstein um sieben Uhr, eine Einkaufsmöglichkeit für die Schüler vor dem Unterricht. Dort verkauften wir morgens nicht nur Schulartikel. Jahrzehntelang waren Süßwaren, offene Stollwerk und Eiszuckerln, sowie Dreieckschnitten von der Süßwarenmanufaktur Kindler in Villach, sehr begehrt. Die Zuckerln wurden in Säcken zu 5 kg eingekauft. Treffe ich heute Schüler aus den 70er und 80er Jahren, dann werde ich auf die offenen Stollwerk und Eiszuckerln angesprochen. Für einen Schilling bekam man zehn Stück. Schon im Geschäft wurde unter den Kindern gefeilscht, ob der eine dem anderen in der Schule zwei oder drei Stollwerk geben wird? Ein Renner waren auch die Karamellstangen.

Carambar

zwei schiling

Ältere werden sich daran erinnern, dass die Eltern in unserer Kindheit viel Wert daraufgelegt haben, dass der Teller beim Mittagessen leer gegessen wurde. Viele von uns haben diese Angewohnheit beibehalten.  Bei mir bedurfte es nach der Schule und dem etwa vier Kilometer langen Schulweg dazu keiner besonderen Aufforderung. Der Fußmarsch konnte sich zusätzlich aus verschiedenen Gründen in die Länge ziehen.  Es kam etwas dazwischen, was mich vom direkten Weg abgebracht hat. Im Frühling waren es die Blumen und die Schmetterlinge, welche nach einer Pause verlangten. Nach einem Regenfall gab es auf dem Güterweg, welcher zum Bauernhof führte, genug Pfützen. An den Rändern der Pfützen kam ich den Schmetterlingen ganz nahe, auch die Bienen haben hier aufgetankt. In den blühenden Obstbäumen am Wegesrand summte es ohrenbetäubend. An mehreren Bienenstöcken konnte ich das Gewusel bei den Einfluglöchern beobachten.                                                                                                                                                     Denke ich auch lange nach kann ich mich nicht erinnern, dass ich in der Kindheit etwas, was auf den Tisch kam, nicht gegessen habe. Vielleicht spielt mir das Gedächtnis einen Streich und lässt mich besser dastehen.  Ob Gemüse- oder Kartoffelsuppe, Braten oder Kärntner Nudeln, Hendlbrust oder Schmarrn, Kartoffeln mit Butter und Salz, Milchreis und Polenta, der Teller wurde leer gegessen. Gut erinnern kann ich mich an den Teller mit warmer Suppe, welchen ich mir um zwei Schilling im Kolpinghaus in Spittal /Drau kaufen konnte.