SCHUTZ.mantel

Vor zwei Jahren war es selbstverständlich, dass man sich Pläne für die Zukunft gemacht hat und sie umsetzte. Eine Wohnung kaufte, und statt der Miete eine etwas höhere Kreditrückzahlung in Kauf genommen hat. In zwanzig Jahren besitzt man Wohnungseigentum, welches den Kindern weitergegeben werden kann. Die helle, freundliche Wohnung wirkt aufbauend auf die Familie. Alle hatten einen Arbeitsplatz, als Vollzeit, Teilzeit, oder Lehrplatz. Vor zwei Jahren gab es keine Sturmwarnung vor einem Wirtschaftstief, in Österreich herrschte gutes Konsumwetter. Jeder der sich bemühte und gute Arbeit leistete erlebte seinen Arbeitsplatz als sicher. Man lebte mit dem Umstand, dass die Firma von einer größeren Firma gekauft und wieder verkauft wurde. Am Firmenstandort wusste man zeitenweise nicht, zu welcher Firmengruppe man gerade gehörte. Vielfach hielt man die fremden Namen für einen Fortschritt, man war bei der Globalisierung dabei. In der Regionalzeitung gab es auf der Wirtschaftsseite einen Bericht, dass die Firma soundso von einem größeren Konzern übernommen wurde, um die Marktchancen zu erhöhen. Alle applaudierten.

 

Das neue Wort heißt Arbeitsplatzwarnung, Anmeldung zur Kurzarbeit beim Arbeitsmarktservice. Ein kurzes Email aus der Konzernzentrale, dass sich die Auftragslage verschlechtert hat, es gibt Absatzprobleme und die Finanzkrise. Eine Fachhandelskette hat viele Fachhändler mit Preisdumping verdrängt, bis sie jetzt selbst ein Opfer des Preiskampfes geworden ist. Beim Frühwarnsystem des Arbeitsmarktservice werden die Verkäufer angemeldet. Bei einem Konkurs werden die offenen Löhne vom Staat bezahlt, vom Steuerzahler. Wie groß ist der Schutzmantel des Staates und wie hoch die Kreditrate.

 

Die Schutzmantelmadonna.

BE:schreiben

Seit Jahren verfasse ich wöchentlich mehrere Beiträge.  Ein Vorteil vom Schreiben ist, dass man sich von der äußeren Welt abkapseln kann. Ich entfliehe der alltäglichen Geräuschkulisse, Radio, Fernsehen, Straßenverkehr, auch der Unterhaltung mit anderen Menschen. Es soll ganz still sein, ich beginne einen Dialog mit meinem Gehirn. In der Stille kommt das Gehirn zu Wort, ich horche meinem Gehirn zu. Es wird mit keinen neuen Informationen gefüttert. Beim Schreiben kann die Gedanken ordnen, weiterentwickeln. Beim Gespräch besteht die Gefahr, dass ich mich wiederhole.

 

Zuerst kommt die momentane Stimmung  im Geschriebenen zum Ausdruck, bis es die Zeit schafft, die Stimmung zu verlassen, zur eigenen Stimmung auf Distanz zu gehen. Es ist eine Zeit des Glücks, unabhängig vom Alltag. Von Dimitri Schostakowitsch wird berichtet, dass er seine schönste Musik, einen Teil seiner Sinfonien, in seinen bedrohlichsten Lebenszeiten geschrieben hat. Er wurde von Stalin gedemütigt, verhetzt, vom KGB verfolgt und musste um sein Leben bangen. Er hat weiterkomponiert, die Musik hat ihn gestärkt.

 

Schreiben.     

DREI:könige

Das Judendorfer Feld war einst Weideland für die Hirten mit ihren Schafherden. Inzwischen ist es eine wohlgeordnete  Fläche mit  Wohnhäusern und Wohnblocks, Strassen und Gehwegen, Gasthäusern und Supermarkt,  Volks- und Hauptschule, Kirche und Kultursaal, geworden. Die Beweglichkeit der Hirten ist in das mobile Leben der Stadtbewohner übergegangen, als Benützer des Kreisverkehrs. 

 

Es kann verstören, wenn es an der Wohnungstür läutet und die Besucher, “Drei Könige”,  haben sich nicht über die Gegensprechanlage am Hauseingang angemeldet. Ich weis nicht was uns erwartet, wenn man die Tür öffnet. Es könnte eine Schlammlawine in die Wohnung hereinbrechen, das Leben radikal verändern. Jede Veränderung kann die Stabilität des Lebens gefährden. Wer zur Unruhe, zur Veränderung aufruft, ruft auch zur Vernachlässigung von Riten und Ritualen auf. Viele Lebensablaufe sind ohne Regeln nicht vorstellbar. Wir führen ein aufgeräumtes Leben und haben eine aufgeräumte Wohnung, es könnte ja sein, dass ein Termin abgesagt wird.

 

Verstörung. 

LEBENS:zeit

Ein ungelöstes Rätsel ist, von wem und nach welchen Kriterien unsere Lebenszeit ausgewählt wird. Niemand kann zu seiner oder der Lebenszeit seiner Nächsten etwas Bestimmtes vorhersagen. Noch weniger weiß man, wie viel Freude und Schmerz man in seiner Lebenszeit erleben wird, wer die Lebenszeiträuber sein werden. Manchen macht die Arbeit, der Beruf, Spass, andere empfinden die Arbeitszeit als einen Lebenszeiträuber. Sie fühlen sich bei ihrem Hobby oder in ihrer Freizeit wohl. Solche, die eine Berufung in sich spüren, warten darauf, bis sie ihre Berufung ausüben können. Manche vertrödeln ihre Lebenszeit. In der Bibel gibt es dazu das Beispiel, wie der Herr drei Dienern während seiner Abwesenheit Talente zur Verwaltung übergibt. Zwei von ihnen vermehren ihre Talente, der dritte vergräbt seins. Er wird vom Herrn verstoßen, weil er es nicht genützt hat.

  

Bevor man entdeckt, dass man mit der Lebenszeit sparsam umgehen soll, ist es im Leben sehr spät. Man fragt sich, was man aus seinen Talenten gemacht hat, ob man diese vermehrt oder vergraben hat. Diese Selbstanalyse kann einen zufriedenstellen, ernüchtern oder frustrierend sein. Bekommt man Lebenszeit geschenkt, das heißt, man kann früher mit der Arbeit aufhören, so heißt es, mit dieser Zeit sorgsam umzugehen. Sein Talent nicht zu vergraben, sondern es zu vermehren. Viele benützen ihre Pension dazu, um länger zu schlafen, sie verzetteln sich in Kleinigkeiten, in den belanglosen Dingen des Alltags. Sie verlieren ihr Ziel aus den Augen, sie geben sich dem Genuss hin.

 

Apfelmus.

 

SEELEN:universum

In Österreich wurde ein Mann verurteil der mit einer Axt einen fünffachen Mord begangen hat. Mit der Axt hat er seine Frau, die Tochter, seine Eltern und den Schwiegervater erschlagen. Die Familie lebte im Nobelbezirk Wien- Hitzing in einer hellen Wohnung mit 3200 Büchern in der Bibliothek. Besonders beschäftigt hat er sich mit der Geisteswelt von Arthur Schopenhauer und seinem Werk „Jammertal“, „wo der Tod das bessere Leben sei“. Mit dem Satz vom Philosophen E. M. Cioran, „Es ist besser überhaupt nicht geboren worden zu sein“,  hat er seine Tat verteidigt. Die Sprengkraft der Philosophie zündet nicht bei dem der sie schreibt, sondern bei dem der sie liest.

 

Ist dieser Mann ein Irrläufer, ein Ausrutscher der Gesellschaft oder Verdrängen wir die Abgründe der menschlichen Seele und halten an einem positiven Menschenbild fest. Wie sonst können wir zur Tagesordnung übergehen, wenn täglich tausende Menschen durch Krieg, durch Vertreibung, durch Hunger sterben.

 

„Der Schriftsteller als solcher befindet sich in einem Zustand der Todsünde.“ E.M.C.