verkehr:notiz I

Es gab eine kleine Notiz, Russischer Lkw-Fahrer getötet, auf der Regionalseite der Kleinen Zeitung. Zumeist schweifen meine Augen, ist es keine größere Überschrift sofort zum nächsten Artikel. Gibt es nicht etwas Spektakuläreres, blättere ich um. Angezogen hat mich der Ortsname Gailitz und Seltschacher Straße, beides kenne ich aus meiner Berufszeit. Der Unfallhergang ist schnell erzählt, man möchte meinen, wie so oft auch anderswo. Ist keine Person aus der Verwandt- oder Bekanntschaft involviert, dann gehört dies sozusagen zu unserer täglichen Dosis an Verkehrsnachrichten, wie wir eine tägliche Dosis an Gemüse zu uns nehmen. Auf der schneeglatten Fahrbahn kommt ein Autofahrer in das Rutschen und drückt eine Personengruppe aus Weißrussland gegen eine Leitschiene. Dabei wird ein dreißigjähriger Mann getötet und eine Frau und ein Mann schwer verletzt. Es sind LKW-Fahrer, die über das Wochenende Fahrverbot haben und auf dem Weg zum Billa  in Gailitz sind, um sich ein paar Lebensmittel zu besorgen. Jetzt ist einer von ihnen tot und die zwei Kollegen schwer verletzt.

Ein alltäglicher Unfallhergang und doch lässt mich dieser Unfall in Gedanken nicht los. Einerseits kenne ich die Ortschaft und die Unfallstelle, zum Anderem wäre dies ein Unfall zwischen zwei Fahrzeugen gewesen und einer der Lkw-Fahrer wäre tot, so hätte dies zum Berufsrisiko gehört.  Für alle Autofahrer gilt dieses Unfallrisiko, es ist uns zumeist nicht bewusst, wir können es gut verdrängen. Wer einige Jahrzehnte auf der Straße unterwegs ist, vertraut auf seine Erfahrung und Routine. Manche legen sich im Laufe der Jahrzehnte eine defensive Fahrweise zurecht, eine vorbeugende Maßnahme.

Bremsweg

ruhe:stand II

Nach ein paar Monaten trüben für manche die Tage in der Pension ein. Nach dem ersten Nachholbedarf an häuslichen Tätigkeiten kommt die Frage, was kommt jetzt? Es kann ein fataler Fehler sein, dass man zu sehr im Beruf aufgegangen ist und keinerlei Hobby zugelassen hat. So stellt sich eine große Sehnsucht nach dem Arbeitsalltag ein, am liebsten würde man morgen an die Arbeitsstelle zurückkehren oder den eigenen Betrieb wieder aufsperren. Dann bleibt nur noch das Raunzen oder der Weg zum Pensionisten Stammtisch im MC-Café. Bei einem Cappuccino über die Unfähigkeit der Politiker zu schimpfen.

Nach Jahren kann der Pensionisten Alltag unerwartet einen Plan bekommen. Es braucht einen Terminkalender, an welchem Tag, um welche Uhrzeit, eine Tablette einzunehmen ist. Im Hubertuskalender werden die täglichen Blutdruckwerte eingetragen. Der Terminkalender ist plötzlich ganz aktuell. Er zeigt den nächsten Termin für die Rückengymnastik, den Besuch beim Augen- und Hautarzt an. Im nahen Therapiezentrum hat man zehn Inhalationen und Massagen gebucht. Bei späteren Generationen wird das Smartphone diese Erinnerungsfunktionen übernehmen.

Alle vierzehn Tage wird der Hausarzt aufgesucht, um sich die notwendigen Medikamente verschreiben zu lassen. Zwei Drittel der Apothekenkunden sind ältere Personen. Dazwischen erledigt man die Besuche beim Bandagisten und bei der Fußpflege. Wer im Ruhestand noch mobil ist, schafft diese Notwendigkeiten in einem angemessenen Zeitraum. Wer mit öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs ist, für den wird der Arztbesuch zu einem Tagespensum. Man hat gehofft, in der Bezirksstadt braucht es kein eigenes Auto, dann fehlt es an idealen Busverbindungen. Samstag und Sonntags muss man Einbußen bei den Fahrmöglichkeiten hinnehmen.

Morgengymnastik

ruhe:stand

Verwandte resonieren darüber, dass sie noch immer Kundenanfragen erhalten, obwohl sie ihren Handels- oder Gewerbebetrieb schon vor bis zu fünf Jahren geschlossen haben. Sie hadern damit, dass sich jetzt Stammkunden melden, um etwas zu bestellen. Nach Jahrzehnten schwieriger Aufbauarbeit, bei der sie große Überzeugungsarbeit geleistet haben und um jeden einzelnen Kunden kämpfen mussten, fallen ihnen die Kunden heute in das Haus. Weil die Firma gelöscht, das Gewerbe abgemeldet wurde, können sie die Bestellungen nicht mehr annehmen und dies schmerzt einer Krämerseele. Außenstehende können dies kaum nachvollziehen, muss man seinen Betrieb nicht aus wirtschaftlichen Gründen, sondern weil es keinen geeigneten Nachfolger gibt, schließen. Obwohl Aufträge und Ertragslage im grünen Bereich sind, will keines von den eigenen Kindern oder aus der Verwandtschaft den Betrieb fortzuführen. Die Jahre, wo eines der Kinder ganz selbstverständlich die elterliche Fleischerei, das Elektroinstallationsunternehmen, den Maschinenhandel oder eine Drogerie übernommen hat, sind vorbei.

Die Unternehmer haben versucht den Kindern eine bessere Ausbildung zu ermöglichen. In der Mittelschicht war bei den Eltern der Drang vorhanden, für den Nachwuchs einen akademischen Beruf zu ermöglichen. Traditionelle gebildete Berufe wie Arzt, Rechtsanwalt oder Bauingenieur. In den 80er Jahren wusste man nicht, dass Informatiker, Programmierer und Netzwerktechniker, Berufe für die Digitalisierung und der künstlichen Intelligenz im 21.Jahrhundert aktuell sein werden. Zurzeit ist bekannt, dass Juristen und Notare von der künstlichen Intelligenz, in Fachkreisen spricht man derzeit von schwacher künstlicher Intelligenz, abgelöst werden. Die entsprechenden Programme formulieren Mietverträge oder Einsprüche gegen eine Verkehrsstrafe besser als altgediente Rechtsanwälte.

Die Erwartungen der Ehefrau oder Lebensgefährtin sind andere. Sie hat erwartet, dass in der Pension beim gemeinsamen Frühstück der große Plausch beginnt, sich genüsslich in den Vormittag verlängert. Mit der Frage endet, was kochen wir heute oder was gibt es zum Mittagessen? Die Stunden bis zum Mittagessen verbringt man turtelnd in der Küche, wie vor dreißig Jahren. Damals konnte der Raum nicht eng genug sein, je kleiner umso lieber. Man war bestrebt auf Tuchfühlung zu sein, der Kussmund war nur eine Handbreite entfernt. In den Jahren, wo eine neue Zeit der Zweisamkeit anbrechen soll geht man sich aus dem Weg.

sinn:krise

Neben praktischen und medizinischen Aspekten gibt es einen Diskurs, ist es sinnvoll, dass sich ältere Menschen geistig fit halten? Ihnen einen Universitätslehrgang gegen einen Kostenbeitrag zu ermöglichen oder führt dies zu einer Blockade für den Unibetrieb? Ein Platz im Hörsaal, der einem anderen Studenten fehlt. Dieser würde einen Beruf ergreifen und zum Staatshaushalt finanziell etwas einbringen. Beim Seniorstudium Liberale an der Universität Klagenfurt ging es um eine humanistische Allgemeinbildung auf Universitätsniveau. Bei mir und bei vielen anderen um eine persönliche Bereicherung, weil oft fehlte uns in den frühen Jahren die Möglichkeit einen höheren Bildungsweg einzuschlagen. In den nächsten Lebensphasen wurde man beruflich gefordert und konnte sich kein Bildungsstandbein erlauben. Wohltuend habe ich empfunden, dass bei den Lehrveranstaltungen nicht der wirtschaftliche Erfolg das Ziel war, sondern die geistige Erbauung im Focus stand.

Die Sinnkrise erleben auch gläubige Menschen, welchen man den Sinn des Lebens immer wieder nahelegt. Der Sinn des Lebens bedeutet für gläubige Menschen an Gott zu glauben, an die Auferstehung und ein Weiterleben nach dem Tod. Kann es für Menschen, welche beruflich als Theologe oder Religionslehrer tätig waren und Glaubenswahrheiten weitergereicht haben, im Alter eine Sinnkrise geben? Selbst Bischöfe und Priester können von einer Sinnkrise erfasst werden, die Glaubenszweifel können für sie dramatische Auswirkungen haben. Im Freundeskreis versuchen sie Halt zu finden. Sie weisen darauf hin, dass die Menschen über Jahrhunderte an einen Gott, an Jesus geglaubt haben und plötzlich wird dieser in Frage gestellt. Über Jahrzehnte haben sie mit Eifer den Glauben verbreitet und zu Gott gebetet. Jetzt kommt ein Hilferuf aus tiefster gläubiger Seele: Es kann ja nicht nichts sein, irgendwas, wenigstens ein bisschen, muss an den Überlieferungen wahr sein.

Nachforschen

sinn:voll II

Manche sehen in der Verlängerung der Arbeitszeit eine Ähnlichkeit zur Verlängerung der Spielzeit bei einem Fußballspiel. Die eine Mannschaft sieht in der Verlängerung eine Chance an Toren aufzuholen und das Ergebniss zu verbessern, die andere Mannschaft kann die Verlängerung als Bedrohung sehen. Dabei könnten die errungenen Punkte wieder verloren gehen. Egal welche Position man einnimmt, man geht mit gemischten Gefühlen in eine Verlängerung. Wem die Verlängerung der Spielzeit genützt und wem sie geschadet hat, weiß man erst nach dem Spielende. Oft wissen es auch Patienten erst nach einer Operation, ob diese für sie sinnvoll war oder nicht. Abhängig davon, wie lange die Wiederherstellung der gewohnten Beweglichkeit dauert, wie belastbar das Gelenk ist und wird das Knie in Zukunft beschwerdefrei bleiben. Schon diese Operation ist mit vielen Überlegungen und Risiken verbunden. Bei Spitzen- und bei Hobbysportlern sieht man die Kniebeschwerden als hausgemacht. Dafür gibt es von den Bekannten wenig Mitgefühl.

Heikler wird die Situation, geht es um eine lebenserhaltende Operation, einen Herzschrittmacher bei Herzrhythmusstörungen. Dabei gibt es auch die Frage, zahlt sich bei einem über achtzigjährigen Menschen eine solche aufwendige Operation noch aus? Genauso wenn es darum geht, Herzklappen zu erneuern. Unter den Altersgenossen kann man dabei auf unterschiedliche Auffassungen treffen. Eine Meinung, eine solche Operation rentiert sich wirtschaftlich nicht mehr, derjenige erbringt keine Leistung, mit welcher die Kosten der Operation wieder wettgemacht werden können. Bei einem Berufstätigen ist zu erwarten, dass die Kosten durch sein Steueraufkommen bezahlt werden. Bei einem über Achtzigjährigen könnte es sein, dass er mit der neuen Herzklappe gerade noch einmal ein oder zwei Jahre lebt. Hat sich diese Operation ausgezahlt und hatte er sein Leben nicht schon gelebt? Es gibt Initiativen gewisse medizinische Eingriffe ab einem bestimmten Lebensalter aus Kostengründen abzulehnen? In den Köpfen einiger ist es noch nicht angekommen, dass wir in den nächsten Jahrzehnten mit einer älteren Gesellschaft zu tun haben werden. Sollte eine willkürliche Entscheidung gemacht werden, ein Lebensschnitt?

Entscheidungshilfe