ES:begab sich

Im Leben gibt es komische und paradoxe Momente der Erinnerung. Vierzig Jahre lang hat man mit Fleiß und Einsatz einen Handelsbetrieb geführt, trotz der mächtigen Konkurrenz durch die Einkaufszentren in der nahegelegenen Stadt. Die EKZ sind innerhalb einer halben Stunde erreichbar und die Mobilität ist hoch. Trotz verschiedener Erweiterungen ist es nicht möglich gewesen nur annähernd die Verkaufsfläche eines Supermarktes zu erreichen. Soweit es sinnvoll war hat man die neuesten Trends im Papier- und Spielwarenbereich angeboten, so wie es die Kundenfrequenz erlaubt hat.

Besucht man Mitte Oktober ein Möbelhaus, so verirrt man sich in einem Wald von geschmückten Christbäumen und die Fläche auf der Christbaumschmuck und Weihnachtsdekoration angeboten wird, übertrifft die gesamte eigene Geschäftsfläche. Selbst bietet man in einer Drahtschütte das ganze Weihnachtssortiment an. Man versucht „zu erraten“, was von den Kunden gewünscht wird und auch, was sie bei ihrem Einkauf in der Stadt vergessen könnten. Artikel, von denen sie eine Stunde vor der Bescherung am Heiligen Abend feststellen, dass er ihnen fehlt.

Wir befinden uns  mittendrin in der Vorweihnachtszeit und man versucht zu erspüren was gebraucht wird.  Dieses Jahr will man die Auswahl sparsamer treffen, es könnte für den Handelsbetrieb der letzte Advent sein. Es ist möglich, dass im nächsten Jahr ein Nachfolger  tätig ist oder das Geschäft wegen Pensionierung geschlossen wird. Noch einmal versucht man ein ausgesuchtes Sortiment zu bieten, egal in welchen Bereich. Bei jedem verkauften Spiel oder Buch, welches als Geschenk unter dem Christbaum liegen wird, freut man sich mit dem Beschenkten. Gerade so, als würde es einem selbst geschenkt.

Freude bereiten. 

WEICHEN:stellen

Es ist einige Jahrzehnte her, dass bei den Buben der Beruf des Lockführers zu den Traumberufen gezählt hat. Je nach den finanziellen Möglichkeiten der Eltern gab es in den Kinderzimmern Größere oder Kleinere, Batterie- oder Elektrisch betriebene Eisenbahnanlagen. Fast kein Bub ist ohne Eisenbahn aufgewachsen, sie war ein beliebtes Weihnachtsgeschenk. War es eine größere Anlage, der Bub noch  im Vorschulalter, dann hat der Vater die Eisenbahn  zwei oder drei Tage vor dem Heiligen Abend in einem absperrbaren Zimmer, aufgebaut. In meiner Kindheit sollte bei einem Nachbarn die Eisenbahnanlage die Weihnachtsüberraschung für den Sohn sein. Der Vater, der im Heraklithwerk beschäftigt war, baute die Anlage einige Tage vor dem Weihnachtsabend auf. Am Vorabend wurde er auf dem Heimweg von der Nachmittagsschicht, es war bereits dunkel, von einem Auto erfasst und getötet. Damals wurden die Verstorbenen zu Hause aufgebahrt und abends sind die Nachbarn gekommen um für den Verstorbenen zu beten. Wir Kinder haben uns  im Nebenzimmer getroffen, wo wir mit dem Sohn des Verstorbenen mit der Eisenbahn gespielt haben.

Heute haben die Kinder andere Traumberufe, sie spielen mit elektronischen Spielen, am Gameboy und am Laptop. Die Berufswünsche betreffen die Bereiche Netzwerktechnik und Softwareentwicklung.

Da fährt die Eisenbahn drüber.

 

ENT:spannung

Bei dem Trubel, wie die Vorweihnachtszeit abläuft, denkt niemand an Entspannung. Dabei zeigt uns die Natur vor, die Rosen sind verblüht, die Bäume werfen die Blätter ab, das Wachstum wird gedrosselt und der Schnee deckt vieles zu, dass ausruhen angesagt ist.

Wer damit nicht abschalten kann, der kann sich in der Apotheke am Hauptplatz beraten lassen. Im Schaufenster hängt ein Plakat mit dem Hinweis: „Wir schenken ihnen entspannte Weihnachten“. Es stehen keine weiteren Angaben auf der Tafel.  Damit sind wohl Produkte aus dem Gesundheitsbereich gemeint, wie Entspannungsbäder, gute Laune Tees, pflanzliche Beruhigungsmittel wie Johanniskrautkapseln und – tropfen. Schneller funktioniert die Entspannung durch Chemie, mit Erfolgsgarantie zum Abschalten und Ausschalten aus dem Weihnachtstrubel. Nach dem sechsten Jänner  mit Energie- und Vitaminkapseln wieder  hochfahreren.

In der Adventszeit bietet die Kirche mit der Rorate Messen und  festlichen Sonntagsmessen, sowie die Singgemeinschaften mit dem Adventsingen, für ein paar Stunden Entspannung in der hektische Zeit. Auf dem traditionellen Christkindlmarkt am Hauptplatz gibt es am Wochenende jeweils um 16 Uhr Aufführungen von  Krippenspielen und Panflötenmusik. Ein Publikumshit ist der „Stille Advent“ auf den Draubermen.  Dort kann es durch den eisigen Wind ungemütlich werden, trotzdem springt der Zauber der Adventszeit , da die Geschäfte bereits geschlossen haben und der Autoverkehr nachgelassen hat, auf die Zuhörer über. Am Firmament zeichnet sich das Mysterium der Schöpfung ab.

Wechselbad der Gefühle.  

WÖCHNERIN:heim

Der Besuch der Christmette liegt ein paar Tage zurück, doch ist mir der Ablauf noch gegenwärtig, weil er mich berührt hat. Bei der Mette, in der Kapelle in Warmbad, hatte der Pfarrer vergessen die elektrischen Kerzen am Christbaum einzuschalten, aus Absicht oder aus Unachtsamkeit? So wurden wir Messbesucher durch nichts abgelenkt auf das Wesentliche, die Geburt Christi, hingeführt. Das Grundlegende konnte nicht im Kerzenschein und schöner Stimmung untergehen. Der Pfarrer hat uns alles weggenommen, was wir in unserer Gesellschaft um das Weihnachtsfest errichtet haben. Er ließ uns nackt vor die Krippe treten, ohne Weihnachtsdekoration. In der Predigt sagte er: „Christus ist genauso wie wir nackt auf die Welt gekommen. In jedem Neugeborenen wird Gott Mensch, findet die Menschwerdung Gottes statt. Jeder Mensch ist eine Wiederholung von Christi Geburt.“ In der Predigt, welche der Abt in dem Film „Von Menschen und Göttern“ am Christtag vor seinen Mönchen hält, finden sich ähnliche Gedanken.

Heute finden die meisten Geburten im Krankenhaus, in Ausnahmefällen zu Hause statt. In den fünfziger Jahren hatte die Hebamme Sulzenbacher in einem Wohnblock des Heraklithwerkes eine „Etage“ gemietet und dort eine Wöchnerinnenstation betrieben. In dieser Zeit wurden die meisten Ferndorfer dort geboren, auch meine Geschwister und ich. Die Mutter ist, wenn die Wehen einsetzten, von Politzen zu Fuß nach Ferndorf gegangen. Nach der Geburt meines jüngsten Bruders haben wir Geschwister mit dem Vater die Mutter besucht. Beim Besuch hat uns die Mutter ihre Banane und Schokolade, welche sie zu den Mahlzeiten bekommen hat, gegeben. Als die Mutter das Wochenbett verlassen konnte hat man einen Nachbarn, der damals schon einen VW Käfer fuhr gebeten, die Mutter und meinen Bruder heimzufahren. Aus dem Tagebuch, 27.12.2010.

Alles Wiederholung.

24. Dezember

Wenn heute jemand die Absicht hat ein Geschäft zu übernehmen oder einen Betrieb zu gründen, dann wird mit einem Steuerberater, einem Notar und einem Kreditberater vorher alles besprochen. Bei der Wirtschaftskammer gibt es dafür das Gründerservice, handelt es sich um eine Betriebsübergabe, dann gibt es eine Beratungsstelle für Übergeber und für Übernehme. Man versucht die Erfolgsaussichten anhand von Kennzahlen zu berechnen. Oft wenden sich Jungunternehmer an einen Persönlichkeitstrainer der sie mental stärkt. Geht etwas zu Ende, dann erinnert man sich gerne an die Anfänge:

“Mit einem Inserat  wurde Anfang Dezember 197.. in der „Volkszeitung” ein Nachfolger für ein Papiergeschäft in Möselstein gesucht. Dies war der Auslöser für meine Selbstständigkeit. Ich hoffte als eigenständiger Buchhändler viel Zeit mit dem Lesen zu verbringen. Nach einem Telefongespräch mit dem Verpächter fuhren wir am 24. Dezember, der Vater, der Bruder und ich, mit einem VW Käfer nach Möselstein um das Geschäft zu besichtigen und mit dem Verpächter zu verhandeln. Der Verkaufsraum hatte eine Fläche von ca. 30 m2. Heute würde diese Größe gerade für eine Würstelbude oder einen Süßwarenkiosk am Bahnhof ausreichend sein.  Das, im Ortszentrum gelegene Geschäft, war ein Zubau bei einem Wohnhaus. Der Schnee am Straßenrand reichte bis in den ersten Stock. Bei einem Glas Wein wurden wir handelseinig und mit ein paar schriftlichen Unterlagen fuhren wir nach Hause. Wir wollten rechtzeitig zur Fütterung  der Kühe und zur Weihnachtsbescherung zu Hause sein.

Zu Jahresbeginn nahm ich einen Kredit auf und kaufte einen gebrauchten R4, der in der Art einer alten Bauerntruhe bemalt war. Der Vorbesitzer war ein Möbelrestaurator. Bei einem Papiergroßhändler bestellte ich Waren nach dem Bauchgefühl. Zu dieser Zeit war ich bei der Firma Gabor als Schuhfacharbeiter, „Absatzschrauber“, beschäftigt. Pro Schicht verschraubte ich etwa 2800 Stück Damenabsätze. Am Freitag vor der geplanten Geschäftseröffnung sagte ich dem Personalchef Bescheid, dass ich am Montag nicht mehr zur Arbeit kommen werde. Von diesem wurde ich aufgefordert die vierzehntägige Kündigungsfrist einzuhalten. Kurze Zeit später hat mir der Betriebsleiter gedroht: „Wenn ich die Kündigungsfrist nicht einhalte wird mir jeder Schuh, der durch meinen plötzlichen Abgang weniger produziert wird, von meinem Lohn abgezogen und notfalls bei Gericht eingeklagt“. Einen Tag vor der Geschäftseröffnung bin ich mit dem R4, beladen mit einem Ölofen und einem Diwan, nach Möselstein gefahren. Am 20. Jänner habe ich das Geschäft wiedereröffnet.”

Frühstart.

ALLEN LESERINNEN und LESERN EINE FRIEDVOLLE UND ERHOLSAME WEIHNACHTSZEIT!